Familie
kann gelingen
Von Jürgen Liminski
Lieber Herr Bischof, liebe Eltern,
ich möchte gleich zu Beginn eine Klarstellung machen.
Johannes Paul II schreibt uns in seinem Brief an die Familien, Erziehung ist Beschenkung
mit Menschlichkeit und wir, die Eltern, seien Lehrer in Menschlichkeit. Nun
kann man nur das lehren, was man weiß oder lebt und da jeder Mensch einzigartig
ist, ist die Sache mit dem Lehren begrenzt. Auch bei uns. Wir sind Eltern wie
Sie, ob gut oder schlecht, geschweige denn besser oder schlechter, das
entscheidet die Situation, in der wir uns befinden und die Haltung, die wir zu
unserer Lebensphilosophie haben. Ich wage die Behauptung: Es gibt letztlich
keine kopierbaren Vorbilder, auch Jesus und Maria sind nicht kopierbar. Das
würde manchen von uns überfordern. Aber die Nachfolge in unseren Umständen, das
Umsetzen der Gebote und Haltungen Christi, seine Liebe verwirklichen in unseren
persönlichen Lebensumständen, das ist möglich und sogar nötig. So kann Familie
gelingen, nicht indem wir jemanden zu imitieren versuchen.
Ich sage das, damit niemand hier auf die Idee kommt, ich mach das wie die da.
Ich hatte mit meinem Verleger einen Disput genau über das Thema. Untertitel.
Auch wir haben viele Fehler gemacht, aber wir haben auch etwas gelernt und vor
allem erkannt, dass die natürliche Lebensform Familie eine Schatzkammer des
Glücks ist.
Die natürliche Lebensform Familie ist eine
Schatzkammer des Glücks!
Wir möchten das Tor zu dieser Kammer etwas öffnen und
Sie davon überzeugen, dass Sie auf dem richtigen Weg sind, auch wenn man das
manchmal nicht so empfindet. Manchmal hapert es ja auch ein wenig mit unserer
Menschlichkeit, manchmal sind wir allzu menschlich, wenn der Stress Überhand nimmt. Aber mit den sympathischen Jüngern, die zur
rechten und zur linken des Meisters sitzen wollten, sagen wir: Possumus. Wir können es. Familie kann gelingen.
Familie kann gelingen, es geht um das Familienglück
Für manche ist das ein Mythos
geworden. Zum einen, weil sie die christliche Familie nicht kennen, zum
anderen, weil sie ein vom Glück nur eine gefühlsmäßige Vorstellung haben. -
Glück, schönes Thema, Kontrast zum Gejammer in Medien. 40-50 Minuten den drei
Begriffen Familie, Glück, Mythos nachgehen, eher anregende Plauderei als
angestrengte Vorlesung. Harten Fakts der Demographie und Ausbeutung der Familie
nachher in der Diskussion. Wenn ich merke, dass Sie der Hypnose der Worte
erliegen, früher zu Ende.
Wenn ein neugeborenes Kind seine Mutter erblickt,
dann, so haben amerikanische Neurologen festgestellt,
kommt Bewegung ins Hirn.
Es ergeben sich Strömungen, die typisch sind für
Glücksgefühle. Beim Vater bleibt es bei der Linie. Immerhin, es ist kein Punkt,
das lässt hoffen. Alles zu seiner Zeit. In den ersten Jahren sind die Mütter
näher dran. Sie haben offenbar von Natur aus – im Einzelfall sieht das manchmal
anders aus – mehr Herz, mehr Empathie, wie die Verhaltensforscher sagen. Und
sie machen ihre Arbeit – ihren job, wie die Politiker
meinen – sehr gut. Sonst sähe es in Europa noch schlimmer aus.
Der große Soziologe Schelsky hat einmal vor Jahren
vom „Funktionsverlust der Familie“ gesprochen. Er meint damit, dass die Familie
im Lauf der letzten 130 Jahre, also seit der Industrialisierung und der auswuchernden
Sozialgesetzgebung mehr und mehr die Aufgaben der wirtschaftlichen Erhaltung,
der Daseinsvorsorge bei Krankheit, Invalidität, Alter usw. verloren oder an den
Staat abgegeben habe und dass sie sich zunehmend auf die Funktionen der Zeugung
des Nachwuchses, seiner Sozialisation und auf die Pflege der innerfamiliären
Intim- und Gefühlsbeziehungen beschränkt habe. Die Pflege der
Gefühlsbeziehungen, das sei die heutige Hauptfunktion. Dafür steht vor allem
die Mutter. Sie ist es, die meist eher als andere erspürt, ob und sogar was
falsch läuft. Ihre natürliche Fähigkeit zur Empathie macht sie zum geborenen
Manager der familiären Hauptfunktion.
Leider wird die Haus- und Familienarbeit gegenüber der Erwerbsarbeit außer Haus
als geringer eingestuft, ein Faktum. Das hat sicher auch damit zu tun, dass die
eine Arbeit bezahlt wird, die andere nicht. Das hat aber auch damit zu tun,
dass man die eine Arbeit messen kann – in Produktionseinheiten und Funktionen -
, während man von der anderen nur eine blasse und meist falsche Vorstellung
hat, weil man auch hier in Funktionen und Produktionen denken will, sprich Windelnwickeln, Wäschewaschen, Bügeln, Putzen, Kochen, also
nur handwerkliche Dienste vor Augen hat. An die weit wichtigeren Funktionen der
Arbeit zuhause, nämlich die Gestaltung der personalen Beziehungen, die
„Beschenkung mit Menschlichkeit“, die Erziehung ausmacht und deren „Produkt“
erwachsene, verantwortungsbewusste und nicht nur saubere und satte Menschen
sind, denkt man wenig in Politik und öffentlichem Diskurs.
Familie ist also eine Herzensangelegenheit
Die Familie sie ist die Beziehungsgrundlage des
Lebens, sie ist der Raum, in dem Liebe lebt. Solche und ähnliche – richtigen –
Worte haben wir letzten Sonntag, am Muttertag, wieder zuhauf hören können. Und
ab Montag galten dann in Deutschland wieder die Vorbehalte der Steuerschätzung
und natürlich auch wieder die Vorurteile gegenüber dem Beruf der Hausfrau und
Mutter. Man könnte sich fast daran gewöhnen. Aber die Politiker operieren hier
am offenen Herzen – und sie wissen es nicht.
Sie wissen es nicht, weil es in der immer stärker anschwellenden Diskussion um
Wohl und Wehe der Familien in Europa meist um materielle Aspekte geht. Die
Ungerechtigkeit gegenüber der Familie hat in unserem Gemeinwesen in der Tat zu
tun mit der materiellen Ausbeutung der Familie durch das derzeitige Steuer- und
Sozialsystem. Und wenn es mal um das Glück geht, das man in der Familie
erfahren kann, dann herrscht Ratlosigkeit, und auch der Zynismus derjenigen,
die trotz und wegen der Erfahrung von vier, fünf Ehen immer noch keine Ahnung
von Familie haben. Was ist Familienglück? Ist es eine Ware, kann man sie
kaufen? Ist es ein Mythos, der mit dem Wandel der sozialen Strukturen und des
Denkens in der Überflussgesellschaft in weite Ferne rückt wie alte Göttersagen?
Oder ist es doch eine Tatsache von heute, eine Tatsache, die jenseits der
Gerechtigkeitslücke das Leben in der Familie nicht nur erträglich, sondern auch
als echte Lebensalternative, als pralles Leben erstrebenswert macht? Um es
vorweg zu nehmen: Wir sind, auch dank eigener Erfahrung, davon überzeugt, dass
die so oft totgesagte „traditionelle“ Familie lebt und dass man in ihr das
Glück finden kann. Familie kann gelingen.
Familienglück
Begriff: Glück
Über Glück ist viel geredet worden, seit der
ursprüngliche Ort seiner Ausgestaltung, das Paradies, zwangsgeräumt wurde. Die
Definitionen sind vielfältig. Relativ neutral ist die Begriffsbestimmung in der
Bibel des Bildungsbürgertums, dem Großen Brockhaus: „Glück – gesteigertes Lebensgefühl,
in dem der Mensch mit seiner Lage und seinem Schicksal einig und sich dieser
Einhelligkeit gefühlsmäßig bewusst ist. Er glaubt, seine wesentlichen Wünsche
seien erfüllt, innere Unstimmigkeiten scheinen gelöst. Dieses Lebensgefühl kann
alle Stufen vom Sinnlichen bis zum Sublim-Geistigen durchlaufen. In vertieftem
Sinn erscheint es als wunschloses Glück, als ein Zustand unüberbietbarer
Erfülltheit. Im philosophischen Sprachgebrauch ist „Glückseligkeit“ der Name
für das höchste natürliche Ziel des Menschen.“ Soweit der Brockhaus, lassen wir
das mal so stehen, sozusagen als erste Annäherung, wir kommen gleich noch mal
auf den Glücksbegriff zurück.
Begriff: Familie
Der zweite Begriff, die Familie. Hier wird die
Begriffsbestimmung kompliziert. Zwar bietet der Brockhaus dem deutschen
Bildungsbürger auch hier eine Definition, indem er sie bezeichnet als „die
Lebensgemeinschaft der Eltern, meist als Ehepartner, und ihrer unselbständigen
Kinder“, aber er macht auch aufmerksam auf die zahlreichen Formen in der
heutigen Welt. Auch das „Lexikon der Politik“ geht auf die Lebensform ein und
definiert in Band 7 (Politische Begriffe), „die Familie als kleinste Form des
gesellschaftlichen Zusammenschlusses vielfach auch als Keimzelle der
Gesellschaft selbst“. Im übrigen
kennen die Ethnologen rund hundert Definitionen von Familie.
Im jüdisch-christlichen Kulturkreis galt lange Zeit unumschränkt folgende
Definition: „Ein Mann und eine Frau, die miteinander verheiratet sind, bilden
mit ihren Kindern eine Familie. Diese Gemeinschaft geht jeder Anerkennung durch
die öffentliche Autorität voraus; sie ist ihr vorgegeben. Man muss sie als die
normale Beziehungsgrundlage betrachten, von der aus die verschiedenen
Verwandtschaftsformen zu würdigen sind. Indem Gott Mann und Frau erschuf, hat
er die menschliche Familie gegründet und ihr die Grundverfassung gegeben. Ihre
Glieder sind Personen gleicher Würde....In der Zeugung
und Erziehung von Kindern spiegelt sich das Schöpfungswerk des Vaters wider. „
Die Definition findet sich im Katechismus der Katholischen Kirche, Punkt 2202
ff. Im Wort Beziehungsgrundlage klingt übrigens entfernt an, was der eben
genannte Schelsky den Funktionsverlust der Familie
nennt, weil die Familie sich heute nur noch auf die Funktionen der Zeugung des
Nachwuchses, seiner Sozialisation und auf die Pflege der innerfamiliären Intim-
und Gefühlsbeziehungen beschränke. Darin könne man eine Entlastung der
partnerschaftlichen Ehe sehen, aber auch eine Gefährdung der Stabilität der
Familie als Institution. Die Beobachtung lohnt das Weiterdenken. Es geht in der
Tag um die Hauptfunktion, die Pflege der
Gefühlsbeziehungen, um die emotionale Stabilität.
Begriff: Mythos
Gestatten wir uns noch einen kleinen Seitenblick auf
den Begriff Mythos, weil die Medien gern die traditionelle Familie als
mythische Angelegenheit abstempeln. Das ursprünglich griechische Wort bedeutet
Erzählung, Rede, Sage. Aristoteles macht auf den Unterschied zwischen Mythos
und Logos aufmerksam, wenn er dem Mythos die Erzählung und Vorstellung zuordnet,
dem Logos, der Philosophie aber „das Reden in Beweisen“. Der neue Brockhaus
präzisiert: „Mythen sind meist Erzählungen, die letzte Fragen des Menschen nach
sich und seiner als übermächtig und geheimnisvoll und von göttlichem Wirken
bestimmt empfundenen Welt artikulieren und dieses Ganze von seinen Ursprüngen
her verständlich zu machen suchen – ganzheitliches Weltverständnis.....So
kreisen sie um zentrale Ereignisse und Situationen des menschlichen Lebens wie
Geburt, Pubertät, Ehe und Familie, Liebe und Hass, Treue und Verrat, Strafe und
Vergeltung, Krieg und Frieden, Krankheit und Tod....“. Auch hier wieder: Wenn
es ums Eingemachte, um die Substanz des Lebens, um das Leben selbst geht, dann
stoßen wir immer auf die Lebenswirklichkeit namens Familie.
Gemeinsamkeiten von Glück, Familie, Mythos
Wir können Gemeinsamkeiten feststellen zwischen den
drei Begriffen: Glück, Familie und Mythos entspringen dem Herzen, Logos und
Philosophie dem Verstand. Das Herz aber, so schreibt Blaise Pascal, kennt
Gründe, die der Verstand nicht begreift. Ich wiederhole: Familie ist eine
Herzensangelegenheit. Im Herzen aber fallen die wesentlichen Entscheidungen des
Menschen. Das Herz ist keine Gefühlsmaschine. Es ist, für Christen zumal, der
Hort der Wahrheit, der Ort des Glaubens. Die Jünger von Emmaus ermahnt der
auferstandene Christus, nicht so trägen Herzens zu sein. "Oh wie träge ist
euer Herz zu glauben", heißt es, oder auch: "Wie schwer wird es eurem
Herzen, alles zu glauben, was die Propheten verkündet haben" (Lukas
24,25). Denselben Jüngern "brannte das Herz", nicht der Verstand,
"als er mit uns redete und uns die Schrift erschloss". Im neuen,
höchsten Gebot, dem Mandatum novum
selbst spricht Jesus zuerst das Herz an. "Du sollst den Herrn, Deinen Gott
lieben aus ganzem Herzen...." Das Herz ist, als "die
Entscheidungsmitte des Menschen", wie Josef Pieper sagt, oder als
"Zentrum der inneren Persönlichkeit" nach einem Wort von Alfred
Sonnenfeld, der eigentliche Ort des Glaubensaktes, die wahre Heimat des
Glaubens in uns. Deshalb verlegt die Heilige Schrift die Gottlosigkeit nicht in
den Verstand, sondern ins Herz. "Dixit insipiens
in corde suo: Non est Deus" - Es sprach der Tor in seinem Herzen: Gott
ist nicht", so lesen wir im Psalm 13,1. Die Erfahrung oder Enthüllung der
Wirklichkeit, also die Wahrheit und ihre persönlich geistige Verarbeitung ist
eben nicht nur eine Sache des Verstandes. Aus dieser Klugheit des Herzens
resultiert, was die Alten die Lebensweisheit nennen. Nicht selten ist es die
Weisheit der Kleinen und Demütigen, jener, die im Gebet, manchmal auch im
Studium, auf jeden Fall im persönlichen, vielleicht auch alltäglichen Umgang
mit Christus, in ihrem Herzen die Liebe zur Wahrheit leben und erfahren. Und
was für eine Tiefe lotet in diesem Zusammenhang das Wort aus „sie trägt das
Kind unter dem Herzen“!
Familie ist Herzensangelegenheit
„Die Geschichte eines jeden Menschen ist vor allem in
das Herz der eigenen Mutter eingeschrieben“, schreibt Johannes Paul II am 1. Januar
2000 in seiner Botschaft zum Jubeljahr. Das Herz ist auch das Zuhause der Liebe
und hier ist die Wurzel für das ganzheitliche Weltverständnis, für den realen
und realisierbaren Mythos vom Familienglück. Familie ist die
Herzensangelegenheit, sie ist die Beziehungsgrundlage des Lebens, sie ist der
Raum, in dem Liebe lebt. Für die Kirche ist sie das Abbild der Dreifaltigkeit,
in der die Liebe selbst Person ist. Kann es eine größere Würdigung für die
Bedeutung und Wirksamkeit der Liebe geben?
Der Bamberger Pädagoge und Psychotherapeut Reinhold Ortner formuliert die
Bedeutung der Liebe in der Familie so: „Wenn die familiäre Atmosphäre eines
Kindes destabilisiert wird oder zerfällt, hinterlässt dies in der Psyche des
betroffenen Kindes Angst vor Geborgenheits- und Liebesverlust. Existentielle
Angst frisst sich fest. Jeder von uns braucht zu seiner psychisch gesunden
Entwicklung ein seelisches Immunsystem. Dieses baut sich durch eine
Grundnahrung aus Liebe, Zuwendung, Verständnis, Geborgenheit und Nestwärme auf.
Vater, Mutter, Geschwister, Großeltern und andere Bezugspersonen müssen Tag für
Tag dem Kind diese Grundnahrung schenken. Ein Kind braucht liebende Menschen,
die in Liebe und Treue eine enge Verbundenheit bilden, die es in ihrer Mitte
annehmen und damit in sein Herz das Urgefühl
existentieller Sicherheit einsenken.“
Dieses Urgefühl beginnt schon vor der Geburt. Denn
heute gibt es zwei Arten von Kindern: das gewünschte Kind und das unerwünschte.
Übrigens heißt es auch: Das Wunschkind und der Kinderwunsch, einmal der
Singular und dann der Plural. Sagen lässt sich auch dies: Geplant oder
gewünscht ist nicht immer gleich geliebt. Die oft gehörte Behauptung, eine
erfolgreiche Erziehung sei nur bei einem gewissen materiellen Minimum und der
also entsprechend kleinen Zahl von Kindern möglich, ist nicht zu belegen.
Materieller Wohlstand ist sicher notwendig, aber nicht hinreichend. Für den
besten Beitrag zur familiären Herzlichkeit und Wärme sorgen die Kinder oft
selbst.
Wir haben zehn Kinder. Denen, die uns fragen, ob wir die alle geplant hätten,
sagen wir Nein. Aber wir haben sie alle vom ersten Augenblick an geliebt,
wenigstens willentlich. Und denen, die von der Zahl beeindruckt meinen, das sei
eine tolle Familie, sagen wir: Vielleicht. Denn es kommt nicht auf die Zahl an.
Nicht die Zahl konstituiert Familie, sondern die Qualität der Beziehungen.
Freilich gilt auch: Ohne Mehrzahl kaum oder keine Beziehungen. Bei einem Kind
gibt es drei Beziehungen, bei zwei schon sechs, bei drei bereits zehn. Man muss
der Familie, den Kindern, auch die Chance zur Qualität geben und deshalb ist
eines der größten Geschenke, die Eltern ihrem Kind machen können, dass sie ihm
Geschwister schenken. Damit schenken sie Beziehung, potentielle und reale
Liebe, Nestwärme, Kraft zum Leben.
Die schöpferische Kraft der Familie
„Die Familie verfügt über große schöpferische Kräfte“,
schreibt der amerikanische Soziologe Robin Skynner,
„zerfällt sie, wächst ihr ein ähnlich großes Potential an Zerstörungskraft
zu." Es ist die Lebensform, die der Natur des Menschen entspricht, seinen
Hoffnungen und Sehnsüchten, seinem Durst nach Liebe, seinem Hunger nach
Anerkennung in der Gemeinschaft, seinem Bedürfnis nach Intimität, die
Geborgenheit schenkt und Gefühl für existentielle Sicherheit. Deshalb blendet
eine Scheidung oft mehr aus als nur eine gemeinsame Vergangenheit. Sie kann
seelisch verstümmeln. Sie kann den Sinn für Gemeinschaft und Treue im Kern
spalten, Verlustängste durch Erziehung „vererben“ oder Lebensenergien
zerstörerisch zur Explosion bringen. Aber die gleichen Kräfte und Energien, von
Liebe genährt, sie stärken Familie und Gesellschaft.
Verheiratete sind glücklicher als Geschiedene
Zahlreiche Umfragen in Amerika und von Allensbach in Deutschland haben ergeben, es unter
Geschiedenen einen besonders hohen Anteil an Unglücklichen gibt. Wer hätte das
gedacht? Aber auch ganz allgemein, dass verheiratete Menschen sich glücklicher
fühlen als Unverheiratete und dass Menschen mit Kindern im Haushalt glücklicher
sind als Menschen ohne Kinder.
Das erklärt sich auch aus den Kernbefunden der Glücksforschung. Demnach hängt
Glück zusammen mit Freiheit, Aktivität, Interesse und Verantwortung, wie
Wilhelm Haumann von Institut für Demoskopie Allensbach bei einer Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung
erläuterte. „Glücklich werden,“ so Haumann,
„am leichtesten Menschen, die sich frei für etwas entscheiden können, die
Verantwortung übernehmen und aktiv sind, sich dabei aber zugleich ein breites
Interessenspektrum bewahren.“ Wo geschieht das mehr als in der Familie? In der
Familie ist das Engagement sachlich und emotionell außerordentlich hoch. In der
und für die Familie übernimmt der Mensch Verantwortung und entfaltet er
Aktivitäten, die sich kaum mit Berufstätigkeiten vergleichen lassen. Deshalb
lässt sich leicht erklären, warum bei allen Unwägbarkeiten des statistischen
Materials, nach Haumann eines ganz deutlich
feststehe: „Glücklich werden eher die Engagierten, die sich informieren, die
sich entscheiden und dann aktiv für etwas einsetzen. Bei diesem Einsatz geht es
dann fast nie um den Hintersinn ‚ich will glücklich werden‘, sondern fast immer
um die Sache selbst, die ganz einfach zum aktiv verwirklichten Selbstzweck
wird.“ Das decke sich mit den Erkenntnissen des großen Psychologen Viktor
Frankl, der das Glück aufgrund seiner Studien an Einzelfällen zu einer
„Nebenwirkung“ der Sinnerfüllung erklärte.
Aber gleichzeitig gilt: Mit der sich verändernden Sozialstruktur ist im Denken
der Menschen – nicht nur in der Politik - die Bedeutung von Ehe und Familie gesunken.
Anfang der sechziger Jahre meinten 79 Prozent der Deutschen – ich vermute, für
Österreich ist es ähnlich - , man brauche eine Familie zum Glück und 17 Prozent
meinten, alleine könne man genauso glücklich sein. Heute ist die Zahlenrelation
63 zu 37. Gleichzeitig wächst die Zahl der nichtehelichen Gemeinschaften, in
Deutschland sind es mittlerweile mehr als ein Drittel aller Partnerschaften.
Die Soziologen sprechen von der „Pluralisierung privater Lebensformen“ und dem
„Monopolverlust der Familie“. Rund neunzig Prozent aller verheirateten Paare
haben bereits vor der Hochzeit zusammengelebt, die so genannte
„Partnerfluktuation“, die steigenden Scheidungszahlen (trotz sinkender
Eheschließungen; der Anteil der nie in ihrem Leben Heiratenden liegt in Deutschland
mittlerweile bei vierzig Prozent) und die wachsende Zahl von Singles oder
Ein-Personen-Haushalten besonders in den größeren Städten (bisweilen mehr als
die Hälfte) sind alarmierende Zeichen einer „Ich-Gesellschaft“. Ihr
herausragendes Merkmal ist der Egoismus, die Ich-Bezogenheit ihrer einzelnen
Mitglieder. Aber, auch das hat die Glücksforschung ergeben, die Kehrseite der
Spaß- und Genussgesellschaft sind Langeweile, Lebenszweifel, Unglücksgefühle.
Wer sich nur für sich selbst engagiert und nur die Genuss- und Lustmaximierung
als Aufgabe betrachtet, der entbehrt eines Sinnes, der über das eigene Leben
hinausweist und daher den Einsatz bremst.
Einige flinke Politiker und Ideologen konstruieren aus diesen Phänomena den
Untergang der Familie. Wahrscheinlich schließen sie auch von ihrer eigenen
Erfahrung auf die Allgemeinheit. Es gibt auch andere Gedankenlinien. Ein Autor,
Vater einer so genannten Patchwork-Familie, also einer aus Teilen verschiedener
Familien zusammengesetzten neuen Familie, er heißt Joachim Bessing,
hat im März ein Buch herausgebracht, in dem er seine Erfahrungen mitteilt. Er
ist kein Ideologe, gehört auch nicht zu der 68-Generation. Er folgert aus
seinen Erfahrungen, dass auch die Patchworkfamilie um
zu überleben nur die Chance hat, so zu tun als sei sie eine traditionelle
Familie. Denn, ich zitiere: „Die Familie als Ort der Entstehung von
Generationen ist die einzige Art, sich mit stabilen Beziehungen vor dem
ständigen Kulturwandel in der Gesellschaft zu schützen“. Diesen Schutz zu beanspruchen,
sei logischerweise egoistisch. Aber es sei „die einzige Alternative zum Dasein
als Mönch“. Um sich vor Augen zu führen, wie resistent die Familie gegen alle
anderen Beziehungsformen sei, brauche man sich nur in der Popkultur und den
Single-Szenen umzusehen: „Die Familie als kulturelle Errungenschaft hat Ersatzkonstrukte wie Kommunen oder Szenen überlebt“.
Die Familie als Schutzraum der Intimität
Die Familie als Schutzraum der Intimität vor dem
Wandel der Kultur und der sozialen Strukturen - das ist kein neuer
anthropologischer Ansatz in der Familiendebatte. Man denke etwa an den vorhin
erwähnten Schelsky. Auch der frühere Professor für
Anthropologie, Papst Johannes Paul II, weist schon seit Jahrzehnten darauf hin.
Im Frühjahr 2004 wiederholte er in einer spontan gehaltenen Ansprache in Rom :
„Die Ehe und die Familie können nicht einfach als Produkt historischer Umstände
angesehen werden oder als ein Überbau, der von außen der menschlichen Liebe
aufgezwungen wird....Ganz im Gegenteil, sie [Familie und Ehe] stellen ein
inneres Bedürfnis dieser Liebe dar, damit sie sich in ihrer Wahrheit und in der
Fülle der gegenseitigen Hingabe erfüllen kann. Auch die Charakteristiken der
ehelichen Gemeinschaft, die heute oft missverstanden oder abgelehnt werden, wie
die Einheit, die Unauflöslichkeit und die Offenheit für das Leben, sind
notwendig, damit der Liebesbund authentisch sein kann.“
Assoziation von Glück und Familie
Es ist immer noch so, dass Glück im allgemeinen
Bewusstsein mit Familie assoziiert wird. Für 71 Prozent der Deutschen gehört
„ein glückliches Familienleben“ zum Glück schlechthin. Übertroffen wird der
Wert nur noch von der Freiheit von allen Sorgen, insbesondere der finanziellen.
Ein Schaufenster dieses allgemeinen Bewusstseins ist die Werbung. Eine Bank
warb vor einiger Zeit mit diesem Spruch: „Glück hat nicht primär etwas mit Geld
zu tun. Aber mit der Gewissheit, dass sich Profis damit beschäftigen“. Zwischen
beiden Sätzen das Foto von einer Frau und einem Mann sitzend in einem Bett, im
Schoß auf der Bettdecke ein Baby. Hier wird Familie, vielleicht sogar die
traditionelle, dargestellt als das primäre Glück, die Bank liefert ein Stück
Geborgenheit, indem sie das materielle Wohlergehen besorgt.
Etliche Umfrageinstitute kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Nach Emnid sind den
meisten Deutschen „ideelle Werte“ wichtig. Und „die Familie vermittelt diese
Werte am besten“. Meist seien es konkrete, persönliche Erfahrungen, die zu
diesem Urteil führten. Jedenfalls nennen die Deutschen auf die Frage „welche Menschen
oder Institutionen sind Ihrer Meinung nach am wichtigsten, um Werte zu
vermitteln“ 96 Prozent „die Eltern“ an erster Stelle und 69 Prozent „Lehrer“ an
zweiter. Abgeschlagen auf Platz drei bis fünf landen Vorgesetzte (29 Prozent),
Kirchen (23 Prozent) und schließlich die Medien mit 18 Prozent, was eher
beruhigend ist.
Umfrage im eigenen Haus
Eine Feldumfrage im Hause Liminski
bestätigt diese Einschätzung. Auf die Frage, was ist für dich Familienglück,
antwortete Mimi, damals zehn Jahre alt: „Meine Geschwister“, Gwenael, zwölf Jahre, („Ich bin die Nummer neun“) schon
etwas allgemeiner und abstrakter: „Ganz viele Brüder und Schwestern“; Momo, 15
Jahre und das schulische Ausnahmekind: „Familienglück, das ist Gemeinsamkeit
und Bereicherung durch Lob und Kritik“. Arnaud, 19 Jahre, meinte: „Kinder und
Kommunikation“, seine Freundin Ini, 17 Jahre: „Kinder
und finanzielle Absicherung“, David, 21: Zusammenhalt, gegenseitige
Unterstützung, Schutz. Und Annabelle, heute um die 30, zusammenfassend und fast
mit den gleichen Worten wie die Mutter: „Familienglück, das ist Geborgenheit
und selbstlose Liebe. Man braucht nichts zu leisten, um geliebt zu werden, man
hat Rollen, spielt aber keine. Man lebt in Beziehungen der Liebe, sie sind
immer tiefer als Beziehungen zu Freunden“. Vanessa, verheiratet und in Amerika
lebend, ergänzt: „Vertrauen, vertrauliches Gespräch, Zärtlichkeit, Respekt vor
dem anderen“.
Es geht nicht nur um das genetische Bad. Hier kommen Aspekte und
Verhaltensmuster um das Glück ins Spiel, die sich schwer messen lassen und die
auch über das persönliche Empfinden und Befinden hinausgehen: Die selbstlose
Liebe, das Angenommen sein um der Person willen, ganz gleich was sie hat oder
leistet, wie sie aussieht oder was sie tut; Geborgenheit, Vertrauen, Schutz. Es
gibt ein menschliches Grundbedürfnis nach dieser selbstlosen Liebe. Die
Erfüllung dieses natürlichen Grundbedürfnisses erzeugt ein Glücksgefühl. Es ist
die Übereinstimmung der inneren Sehnsucht mit dem Sein. Diese Übereinstimmung
schenkt die Liebe.
„Alles Glück ist Liebe“, sagt Josef Pieper. Liebe ist eine schöpferische Tat,
eine Beziehungstat. Sie prägt und gestaltet das Verhältnis von Personen
zueinander, sie schafft existentielle Nähe. Die dauerhafte Erfüllung dieses in der Naturbedürfnisses geschieht in der Familie. Es gibt
keinen anderen Ort in der Gesellschaft, an dem eine so selbstlose und tätige
Liebe möglich ist. Deshalb ist die Familie auch unverzichtbar für den Menschen
und für die Gesellschaft.
Alles Glück ist Liebe
Warum ist das so? Auch dieser Frage wollen wir jetzt
nachgehen und die Antwort lautet zunächst: Familie führt zur wahren
Freundschaft. Auch dies ist ein Ergebnis selbstloser Liebe, man will das Gute
für den anderen, bedingungslos. Thomas von Aquin beschreibt diese Liebe in seiner
Aussage zur Freundschaft: „Nach dem Philosophen Aristoteles ist nicht jede
Liebe auch eigentliche Freundschaft, sondern nur diejenige Liebe, welche mit
Wohlwollen gepaart ist, d.h. wenn wir jemanden so lieben, dass wir Gutes für
ihn wollen. Wenn wir aber den geliebten Wesen nicht Gutes wollen, sondern
gerade ihren Eigenwert für uns haben wollen, wie man sozusagen den Wein liebt
oder Pferde oder etwas dergleichen, so ist das nicht Liebe der Freundschaft,
sondern irgendeines Begehrens, denn es wäre lächerlich zu behaupten, man habe
Freundschaft mit dem Wein oder mit einem Pferd. Aber auch Wohlwollen genügt
noch nicht zur Kennzeichnung der Freundschaft, sondern es ist ein gegenseitiges
Sich lieb haben erfordert, weil der Freund dem Freunde Freund ist. Ein solches
gegenseitiges Wohlwollen aber gründet in Gemeinsamkeit“.
Im Fall der Familie ist diese Gemeinsamkeit biologisch, ja genetisch. Sie
umfasst das Wesen und deshalb geht die familiäre Freundschaft auch so tief.
Tiefer geht nur noch die Gemeinsamkeit der Lebensphilosophie, sofern sie, wie
Thomas weiter ausführt, in der Gottesliebe gründet. Er bezeichnet die
Gottesliebe auch als „eine Art Freundschaft des Menschen mit Gott“. Und einige
Quaestiones weiter sieht er in der Selbstlosigkeit der Mutterliebe ein Zeichen
für die Liebe Gottes zu den Menschen, „weil die Mütter, deren Liebe die größte
ist, mehr daran denken zu lieben, als geliebt zu werden“.
In der alten Lehre vom Gelingen des Menschseins war der Dualismus zwischen Ich
und Selbstlosigkeit freilich immer vorhanden. Aristoteles geht bei seinen
Überlegungen über Ethik auch vom Streben nach Glückserfüllung der Menschen aus.
Er unterscheidet auch zwischen den sittlichen Persönlichkeitswerten, den
Tugenden, und den Lustwerten. Lustwerte, so der Grieche, sind Glückswerte nur
im Einklang mit den Persönlichkeitswerten, Lustwerte dürften sich nicht
verselbständigen. Es geht um das Gutsein, nicht um Askese um ihrer selbst
willen. Askese kann in die Irre führen. Auch Augustinus geht solchen Fragen
nach und kommt zu dem Ergebnis, dass der Mensch dadurch glücklich wird, wodurch
er gut wird. Mit anderen Worten: Der Mensch kann nicht gegen die ihm in seiner
eigenen Natur vorgegebenen Lebenszwecke, oder gegen seine Natur als Mensch zur
Lebenserfüllung gelangen.
Wir kennen alle das Wort von Augustinus und seinem unruhigen Herzen. Unruhig
bis es ruht in Dir. Das ist es, das höchste natürliche Ziel des Menschen.
Augustinus hat aber nicht nur die Unruhe beschrieben. Seine Bekenntnisse sind
eine Road map, ein Fahrplan zum Frieden. Zum inneren
Frieden und zum Glück. An anderer Stelle, im 23. Kapitel, schreibt er:
"Das glückliche Leben ist nichts anderes, als die Freude, welche die
Wahrheit erzeugt" und "diese Wahrheit findet man in Dir, Herr, in Dir
der höchsten Wahrheit".
"Im Himmel leben"
Damit sind wir der Sache schon sehr nah. Das höchste
natürliche Ziel ist die Erkenntnis der höchsten Wahrheit. Das ist, was wir
früher den Himmel nannten. Vielleicht das schweben im
siebten Himmel, jedenfalls in dem Himmel, in dem Gott wohnt. Wie erreicht man
das, was ist der Himmel? Und wie kommt man ihm auf Erden näher? Hier hat uns
die kleine Mimi geholfen mit einer Definition des Himmels. Sie war damals acht
Jahre alt und sollte als Hausaufgabe aufschreiben, was sie als Hölle und was
sie als Himmel empfindet. Zur Hölle gehört, wenn die großen Brüder sie ärgern.
Nun, das hat sich geändert, sie selbst ist mittlerweile ziemlich schlagfertig.
Von bleibendem Wert ist ihre Definition des Himmels: "Mimi sein".
Selten haben wir von einem Kind eine so knappe, auch theologisch interessante
Definition dessen erfahren, was noch kein Ohr gehört und kein Auge gesehen hat.
Für die kleine Mimi ist der Himmel: "Mimi
sein!"
Es ist überraschend, aber wahr: Im Himmel sind wir.
Dort ist unsere Erkenntnis vollkommen, ist die Enthüllung der Wirklichkeit - so
definiert Pieper ja die Wahrheit - ebenfalls vollkommen, und deshalb ist unser
Sein auch vollkommen, unverrückbar, ewig. Denn dort sind wir in der Anschauung
Gottes, ist unser Sein sozusagen eingehüllt in das göttliche Sein, geht das
Sein des Geschöpfes im Sein des Schöpfers auf, ist die Identität in Gott total.
Dort bin ich ich selbst - Mimi sein - in einem Maß,
wie es auf Erden gar nicht möglich ist. Und dieses höchste Maß an Identität
bedeutet auch höchste Erkenntnis, höchste Selbsterfüllung, mithin höchstes
Glück. Später fanden wir - zum großen Erstaunen von allen - im Katechismus beim
Stichwort Himmel unter Punkt 1025 folgende Passage:
"Im Himmel leben heißt mit Christus sein. Die
Auserwählten leben "in ihm", behalten oder, besser gesagt, finden
dabei jedoch ihre wahre Identität, ihren eigenen Namen".
Alles kommt also darauf an, dass wir in der Wahrheit
leben, theologisch ausgedrückt in der heiligmachenden Gnade. Dann sind wir auch
glücklich. Nur wie geht das. (Ein Glück, dass wir den Papst haben, denn)
Johannes Paul II sagt uns: "Wer großmütig ist, weiß ganz selbstlos Liebe,
Verständnis, materielle Hilfe zu geben. Er gibt und vergisst, was er gegeben
hat und darin liegt sein ganzer Reichtum. Er hat entdeckt, dass Geben seliger
ist als Nehmen, hat entdeckt, dass Lieben wesentlich bedeutet, sich für andere
hinzugeben. Denn weit davon entfernt, eine gefühlsmäßige Neigung zu sein, ist
Liebe vielmehr eine bewusste Willensentscheidung, auf andere zuzugehen. Um
wahrhaft lieben zu können, muss man von allem anderen, besonders aber von sich
selbst absehen und großzügig geben können. Dieser Verzicht auf persönlichen
Besitz macht uns ausgeglichen und das ist das Geheimnis innerer
Zufriedenheit."
Hier stehen wir an der Quelle des Familienglücks, des aktiv erworbenen und des
passiv geschenkten. Die Liebe macht den Menschen aus und deshalb ist Erziehung auch in diesem Sinn „Beschenkung mit
Menschlichkeit“ und die Eltern „Lehrer ihrer Kinder in Menschlichkeit“. Dieses
Geschenk können Schullehrer oder Kindergärtnerinnen nicht geben. Allerdings
gelangen auch viele Eltern zunehmend an die Grenze ihrer Schenkungskapazität,
weil sie nicht genug Zeit haben oder sie sich nicht nehmen, um ihren Kindern
diese Liebe angedeihen zu lassen. Liebe braucht Zeit. Der große Pädagoge Pestallozzi hat wohl gewußt, was
er sagte, als er sein Lebenswerk in den drei großen Z zusammengefasste: Zeit,
Zuwendung, Zärtlichkeit. Die Zeit ist dabei die Voraussetzung für die beiden
anderen und die Kinder spüren, ob die Eltern Zeit widmen wollen oder nicht.
Erleben der Gemeinschaft
Es gibt viele Arten von Gemeinschaftserlebnis. Das
gemeinsame Essen zum Beispiel. Wenn Geschwister eine Mahlzeit vorbereiten, dann
nicht nur der Gaumenfreuden wegen. Und es gehört zu den traurigen Erfahrungen
von Kindern aus Mehr-Personen-Haushalten, dass man sie nicht versteht, wenn sie
ihr Interesse für das Wohlbefinden von anderen bekunden. Ein anderes
Solidarerlebnis ist das Gebet. Wer für andere betet, der ist solidarisch in
einem Sinn, der an die Tiefe der Existenz rührt. Deshalb droht eine
Gesellschaft, in der nicht mehr gebetet wird, zu verflachen und zu zerfallen.
Eine Mutter, die mit ihrem Kind für andere betet, übt Solidarität, stiftet
Gemeinsinn und Gespür für Selbstlosigkeit, wie es wohl keine andere Schule
vermag.
Wegen der Geborgenheit in der selbstlosen Liebe ist die Familie auch der
gesunde Nährboden für die Sozialisierung der Person, der „geistige Schoß“
(Thomas von Aquin) des Menschen für das Hineingeboren werden und Hineinwachsen
in die Gesellschaft. Es ist der Ort der Solidarität, eine Chiffre der
Soziologen für Liebe. „Aus der Familie erwächst der Friede für die
Menschheitsfamilie“, schrieb Papst Johannes Paul zum Jahr der Familie 1994. Es
mag pathetisch klingen, aber es geht mit der Familie auch um die Zukunft der
Nationen. Johannes Paul II. sagt es so: Die innere Freiheit und Souveränität
der Familie „ist für das Wohl der Gesellschaft unerlässlich. Eine wahrhaft
souveräne und geistig starke Nation besteht immer aus starken Familien.
Zusammenhang zwischen Familienglück und
Gesellschaft
Hier ist der Zusammenhang angezeigt zwischen dem Glück
der Familie und dem der Gesellschaft. Die Utilitaristen, allen voran der Brite
Bentham, aber vor ihm auch schon der große Ökonom Adam Smith, begründen ihr
Konzept vom Sittengesetz mit einer numerischen Idee vom Gemeinwohl, wenn sie
sagen, dass „das größte Glück der größten Zahl“ der Inbegriff der
verwirklichten Sittlichkeit sei. Wie immer man zu dieser Theorie steht, sie hat
den Begriff des Glücks, happiness, im politischen
Diskurs verankert – in Amerika sogar in der Verfassung als pursuit
of happiness – und ist
heute, losgelöst von seinem geistigen Hintergrund, eingebettet in die
Ich-Gesellschaft, das beherrschende Prinzip im demokratischen Wohlfahrtsstaat.
Man denkt in Ansprüchen, mein Recht, mein Wohl, nicht in Zusprüchen,
Solidarität, und daraus ergibt sich der Widerspruch zwischen mein Wohl und
Gemeinwohl. Auch das macht unseren Sozialstaat, abgesehen von den fehlenden
Kindern, pleite.
Das ist das eigentlich Dramatische, das Ungeheuer, das hinter den
Zahlenkolonnen der Demographie schlummert. Der innere Zusammenhalt der
Gesellschaft, die Bänder des Herzens, Solidarität, Liebe oder auch nur
Zuwendung, wenn diese Quelle versiegt, weil die Ich-Gesellschaft sie
verschüttet - Liebe ist die einzige Ware, die sich vermehrt, wenn man sie
verschenkt, bemerkt die heilige Mutter Teresa – wenn diese Quelle versiegt,
weil zuwenig geliebt wird, dann versinken wir in eine
repressive Gesellschaft.
Liebe ist die einzige Ware, die sich vermehrt, wenn
man sie verschenkt!
Und diese Frage ist brandaktuell. Noch schläft die
Politik den Schlaf der Ungerechten und politisch
Korrekten, so als ginge sie das alles nichts an, als sei das alles nur
Privatsache. In Frankreich rechnet man mit dem „Schock 2006“, so ein Buchtitel,
im verträumten Deutschland wird der Schock ein paar Jahre später einsetzen.
Dann wird man hektisch versuchen, das Steuer herumzureißen. Aber selbst wenn
heute eine gerechte Familienpolitik einsetzte, die Folgen wären frühestens in
fünfzig Jahren spürbar. Nur: Wie lebt man in der Zwischenzeit?
Das große Problem ist die Einsamkeit der Alten, ein anderes der härter werdende
Verteilungskampf unter und zwischen den Generationen. Es müssen neue Formen des
Zusammenlebens gefunden werden. Die Frage ist so alt wie die Demokratie. Schon
die Griechen stellten sie sich. Prinzipiell gibt es nur zwei
Gesellschaftsmodelle: Das Konfliktmodell und das Konsensmodell. Ein Ahnherr der
Konflikttheorie, der Sophist Thrasymachos, sah als
alleiniges Kriterium für das gesellschaftliche Handeln die technische
Durchsetzbarkeit. Was geht, wird gemacht. Keine Rücksicht auf Ethik oder Würde
im Alter. Das Ergebnis ist der repressive Staat mit Euthanasie und
Instrumentalisierung der Familie, wie es das vergangene Jahrhundert in Europa
schon leidvoll erlebt hat. Aristoteles dagegen sah nicht im Henker sondern in
der Freundschaft das Band der Gesellschaft. Sie sei „das Nötigste im Leben“,
meinte der große Grieche. Und man kann hinzufügen: In der Familie findet sie,
die Freundschaft, ihr Zuhause. Das ist die Alternative der Zukunft: Eine
solidarische Gesellschaft mit freundschaftlichen Formen des Zusammenlebens oder
eine repressive mit der Kultur des Todes. Die Demographie spitzt diese
Alternative immer schärfer zu. Die Politik wird sich diesem Thema zu stellen
haben.
Für uns ist das Problem prinzipiell gelöst. Wir haben unsere Entscheidung
getroffen, wir gehen den Weg zum Glück. dass er manchmal steinig ist, und dass
am Wegrand viele Medien bellen, das sollte uns nicht bekümmern. Lassen Sie mich
noch einmal den Heiligen Vater zitieren, diesmal aus einer Ansprache in Irland
an Väter und Mütter. Er sagte damals:
"Glaubt an eure Berufung, die schöne Berufung zur
Ehe und Elternschaft, die Gott euch geschenkt hat. Glaubt, dass Gott bei euch
ist, denn jede Elternschaft im Himmel und auf Erden hat ihren Namen von Ihm.
Meint nicht, dass ihr Bedeutenderes in eurem Leben tun könntet als gute
christliche Väter und Mütter zu sein. Mögen die Väter und Mütter
, jungen Frauen und Mädchen nicht auf jene hören, die ihnen sagen, es
sei wichtiger in einem weltlichen Beruf zu arbeiten und dort Berufserfolg zu
haben als die Berufung Leben zu schenken und für dieses Leben als Mutter zu
sorgen. Die Zukunft der Kirche, die Zukunft der Menschheit hängen großenteils
von den Eltern und vom Familienleben ab, das sie in
ihrem Heim entfalten. Die Familie, so der Papst weiter, die Familie ist das
wahre Maß für die Größe einer Nation, so wie die Würde des Menschen das wahre
Maß der Zivilisation ist."
Es geht nicht nur um unser persönliches Familienglück.
Die Zivilisation ist gefährdet. Sie wird gerettet, wenn wir die Freundschaft
leben. Zuerst in der Ehe, jener besonderen Form personaler Freundschaft, wie
Paul VI in Humanae vitae
schrieb und die Leo XIII als die „höchste Gemeinschaft und Freundschaft“
bezeichnete. Sie ist der Kern des Familienglücks.
Wie können wir besser lieben?
Die Frage nach dem Glück ist letztlich die Frage: Wie können
wir besser lieben? Um Liebe weiterzugeben, muss man sie freilich erstmal
erfahren. Wir kennen sicher hier und da familiäre Verhältnisse, in denen das
nur schwer möglich ist. Umso wichtiger ist es, die Erfahrung zu ermöglichen.
Nicht nur menschlich im Sinne des großen Pädagogen Pestalozzi, der gesagt hat:
Ein Kind, das nie in das liebende Auge der Mutter geschaut hat, wird unfähig
sein, Liebe zu schenken. Oder der Schriftstellerin und Nobelpreisträgerin Pearl
S. Buck, die es so formulierte: "Kinder, die nicht geliebt werden, werden
Erwachsene, die nicht lieben". (Das und viel mehr. Es kommt auch auf die
persönliche Beziehung zu Gott an. Keine andere Religion hat eine personale
Beziehung zwischen Geschöpf und Schöpfer. Wenn er die Liebe ist, dann aus dieser
Quelle schöpfen. )
Schöne Worte, die ihre Verwirklichung im Handeln, Entscheiden und Denken ihre
Lebensgestalt gewinnen. Zum Beispiel in der bedingungslosen Annahme des anderen
- unabhängig von Preis, Gestalt, erhoffter Leistung. In dieser Annahme steckt
eine Souveränität, die jedem gesellschaftlichen Nutzendenken vorausgeht. Es ist
die innere Souveränität, eine Voraussetzung, von der der solidarische und
soziale Staat lebt und die er nicht geschaffen hat, wie Böckenförde richtig
sagt, die er aber zerstören kann. Etwa durch liberale Abtreibungsgesetze. Sie
erschweren die Annahme des Lebens, die Annahme der Schöpfung, so wie sie ist.
Johannes Paul II sagt in seinem Brief an die Familien: "Die Familie hat
ihren Ursprung in derselben Liebe, mit der der Schöpfer die geschaffene Welt
umfängt." Hier ist sie wieder die selbstlose Liebe. Und in der Familie
lebt die Schöpfungskraft Gottes weiter. Nicht nur auf biologische Weise,
sondern vor allem auf geistige. Die selbstlose Liebe ist jener Funke Göttlichkeit,
der den Menschen durchglüht. Der Kirchenlehrer und Mystiker, der heilige
Johannes vom Kreuz, sprach in diesem Sinn vom "endiosamiento
- der Vergöttlichung" des Menschen durch die Liebe Gottes. Aus diesem
Grund hat die lebensbejahende Annahme trotz schwieriger persönlicher Umstände
eine Tiefenwirkung, die von sich selber absieht und nur das Gut des anderen, in
diesem Fall das Leben des Kindes, im Auge hat. Es ist eine Erfahrung mit
tragender Kraft. Sie trägt ein Leben. Es ist die erste Gotteserfahrung, die erste
Berührung mit der selbstlosen und fundamentalen Liebe Gottes zum einzelnen
Menschen. Es ist die Verankerung der Liebe in der Ewigkeit, der lebenspendende
Wurzelgrund der Person. Der deutsche Frühromantiker Novalis drückt es so aus:
Kinder sind sichtbar gewordene Liebe. Sozusagen die Fortsetzung des Abbildes.
Selbstlose Liebe - das ist die Liebe, die niemanden aufgibt, die die letzte
Hoffnung nicht verliert, die unheilbare oder schwer heilbare Krankheiten von
engen Angehörigen aushält, Anfeindungen oder Demütigungen von Freunden erträgt,
die sieht, wie Freundschaften instrumentalisiert werden und die schweigt, weil
man ohnmächtig ist, wenn Freunde und Kinder andere Wege gehen, obwohl man alles
getan hat, damit sie auf dem guten Weg bleiben. Denn Erziehung heißt nicht,
jemanden als Projekt zu planen oder seine Pläne in ihn hineinzuprojezieren,
sondern ihm diese selbstlose Liebe zu schenken. In diesem Sinn sollten wir uns
gelegentlich fragen: Was ist der Plan Gottes für unsere Kinder? Deckt er sich
mit meinen Plänen, meinem Ehrgefühl, meinen Wünschen? Meinen Lebens-Projekten?
Auch das heißt selbstlos lieben oder, um es mit den Worten von Dostojewski zu
sagen: Einen Menschen lieben heißt, ihn so sehen, wie Gott ihn gemeint hat.
Erziehung ist nicht Aufzucht. Sie ist, ich wiederhole es, weil es die beste
Definition von Erziehung ist, die ich kenne, sie ist "Beschenkung mit
Menschlichkeit". Wer so beschenkt, der wird auch glücklich sein.
Das Kind erfährt, was Liebe Gottes ist, wenn es sieht, wie man verzeiht und
selber um Verzeihung bittet. Wenn es spürt und weiß, dass es frei ist und immer
wieder die Chance hat, neu anzufangen. Wenn es instinktiv weiß, dass man zu ihm
steht, rückhaltlos. Nicht zu seinen Fehlern, aber zu ihm. Die Sünde hassen, den
Sünder lieben, sagt Augustinus. Wenn es weiß, dass es ein sozusagen genetisch
vererbtes Recht hat auf Rückkehr, auf Fehler, auf Freiheit. Wo erfährt es das
wie in der Familie? Im Hort, in der Kita, in anderen Verwahranstalten des
Staates?
"Die Familie ist Lebens- und Liebesgemeinschaft", schreibt Johannes
Paul II. und fährt fort: "Sie erzieht und leitet ihre Glieder (also auch
die Eltern, A.d.V.) zur vollen menschlichen Reife und
dient dem Wohl aller auf dem Lebensweg. Die Familie ist die erste Lebenszelle
der Gesellschaft. Die Zukunft der Welt und der Kirche führt daher über die
Familie". In der Familie erlebt der Mensch die erste Erfahrung der Liebe.
Das fängt an mit der Annahme des Kindes - keine Selbstverständlichkeit in der
heutigen Verhütungsgesellschaft. Keine Selbstverständlichkeit ferner in einer
Gesellschaft, in der das soziale Ansehen der Frau an Kerl, Konsum, Karriere -
den drei "Ks" der Emanzipation - gemessen
wird. Annehmen, auch wenn es schwer fällt, weil das Kind behindert ist oder das
sechste oder schon das zweite Kind ist. Bedingungslos annehmen, so wie Gott
bedingungslos das Leben schenkt.
Zusammenfassung
Ich komme zum Schluss. Kinder und Eltern brauchen
Zeiten gegenseitiger Zuwendung. Ohne sie verlieren wir uns in funktionaler
Geschäftigkeit. Das baut kein Vertrauen auf, auch wenn alles funktioniert. Ohne
Raum und Zeit für die vertrauensvolle Beziehung laufen wir Gefahr, das Herz zu
verschütten, alles, auch die Liebe zu organisieren. Liebe ist letztlich ein
Geschenk, widerfahrene Gnade, erinnert Kardinal Ratzinger. "Man
entschließt sich nicht einfach zu ihr. Sie hat den Charakter der Antwort und
ist daher zuerst dem verdankt, das von der anderen Person her auf mich zukommt,
in mich eindringt und mich öffnet, Du zu sagen und so wahrhaft Ich zu werden. Sie
ist mir eigentlich vom anderen geschenkt und doch bin ich daran tiefer und
umfassender beteiligt als an irgendeinem Werk, das aus meinem eigenen
Entschluss hervorgeht." Wunderbare Worte, die man nur versteht, wenn man
davon ausgeht, dass es eine Natur des Menschen gibt. Was aber passiert, wenn
die Natur nicht anerkannt wird. Wenn, wie Sartre sagt, „la nature
de l’homme n’existe pas“, wenn die Natur des Menschen nicht existiert? Dann
gibt es kein Humanum und dann ist alles möglich.
Schon Romano Guardini wies auf die Gefahr des
„unmenschlichen“ oder des „nicht-humanen Menschen“ hin. In einer Studie, die
Hans Urs von Balthasar Romano Guardini widmete, sieht
der große Denker die „Unmenschlichkeit des Menschen“ in einem unmittelbaren
Zusammenhang mit dem Vergessen Gottes und der Anwendung einer nahezu
gebieterischen aber auch irreführenden Technologie. Guardini
schrieb mit einem Hauch von Prophetie: „Es ist für mich als ob unser ganzes
kulturelles Erbe von den Zahnrädern einer Monstermaschine erfasst würde, die
alles zermalmt. Wir werden arm, wir werden bitterarm“ .
Auch in seinem posthum erschienenen Werk „Die Existenz des Christen“ beobachtet
Guardini wie der Geist als solcher krank werden kann.
„Das geschieht nicht unbedingt nur dann, wenn der Geist sich irrt, sonst wären
wir ja alle geistig krank, denn wir täuschen uns alle mal; noch nicht einmal,
wenn der Geist häufig lügt; nein, der Geist wird krank, wenn er in seinem
Wurzelwerk den Bezug zur Wahrheit verliert. Das wiederum geschieht, wenn er
keinen Willen mehr hat, die Wahrheit zu suchen und die Verantwortung nicht mehr
wahrnimmt, die ihm bei dieser Suche zukommt; wenn ihm nicht mehr daran liegt,
zwischen wahr und falsch zu unterscheiden. Deshalb ist eine „Gehirnwäsche“ auch
ein Verbrechen von besonderer Grausamkeit, mehr zu fürchten als der Mord“ . Denn es ist die Menschlichkeit, die ermordet wird. So
wie es die Menschlichkeit ist, die durch eine selbstlose Liebe geschenkt wird.
Die Wahrheit macht frei, mithin glücklich.
Die Familie muss gelingen, wenn die Zivilisation der
Liebe nicht untergehen soll.
Kein Papst der letzten Jahrhunderte hat sein
Pontifikat so sehr der Familie gewidmet wie Johannes Paul II. Das hat natürlich
mit der Notwendigkeit zu tun, die Familie vor der Auszehrung zu retten und zu
revitalisieren. Die Familie schafft die natürliche Synthese zwischen der
antiken oder klassischen Ethik vom Gelingen des eigenen Lebens (eudaimonia) und einer universalistischen Sollensethik, wie wir sie seit Kant und der Aufklärung her
kennen. Sie steht im Zentrum, sie ist der Ort, wo die Beziehung des einzelnen
zur Gemeinschaft tief und rein sich zur Freundschaft, zum bedingungslosen
Wohlwollen entwickelt. Familie kann auch in diesem Sinn gelingen, ja sie muss
gelingen, wenn die Zivilisation der Liebe nicht untergehen soll.
Aber wir wissen ja, sie kann gelingen und der Mythos vom Familienglück ist der
realisierbare Mythos vom gelungenen Lebensentwurf, ist die Vorstellung vom
verwirklichten Lebenssinn. Das kann man erst am Ende des Lebens mehr oder
weniger abschließend beurteilen. Aber heute können wir schon sagen: Die Familie
ist ein privilegierter Ort des Glücks ist, das ist eine Realität, eine
naturgegebene Wirklichkeit, so wie das Herz des Menschen, real existent und
doch nicht auslotbar, nicht messbar. Deshalb möchte ich abschließend, auch über
die Familie hinaus weisend sagen:
Das persönliche Glück ist überall da zu hause, wo die Liebe wohnt.