Ohne Ehe und Familie - wohin?
Vortrag von Stefan Baier, Publizist
Bei Hochzeiten wird noch immer
geweint – vor Rührung, Ergriffenheit, aus dem Staunen angesichts dieses großen
Augenblicks im Leben von zwei Menschen. Wenn dann die eigene Tochter einem fast
fremden Mann tief in die Augen blickt und sagt: „Ich will dich lieben, achten
und ehren, solange ich lebe.“, dann schießen noch immer vielen Müttern die
Tränen in die Augen. Man kann allerlei einwenden gegen den hohen Anspruch
dieses Wortes. Man verweist auf die Scheidungszahlen und nennt den Anspruch
lebenslanger Liebe romantisch, unmodern, unrealistisch oder weltfremd. Eines
aber kann niemand bestreiten: Er hat eine einmalige Größe.
Nicht hohles Pathos, nicht alles verklärende und beschönigende Liebelei,
sondern eine nüchterne Größe spricht aus der kirchlichen Trauungsformel: Von
einer „Treue in guten und bösen Tagen, in Gesundheit und Krankheit“ ist da die
Rede. Und von einer Entschlossenheit, die dem menschlichen Willen zutraut, sein
ganzes Schicksal zwar nicht in den Griff zu nehmen, aber doch unter ein
Vorzeichen zu stellen. Keiner weiß am Tag seiner Hochzeit um die Wechselfälle
der kommenden Jahre und Jahrzehnte. Aber vor dem Traualtar bekräftigen zwei
mutige Menschen, dass sie einander lebenslang lieben, achten und ehren wollen.
Dazu gehört Courage, in einer Zeit, die uns Ehebruch und wechselnde
Kurzzeit-Beziehungen von allen Plakatwänden, aus Hollywood-Schnulzen und
Society-Magazinen entgegen schreit. Dazu gehört menschliche Größe in einer
Gesellschaft, die Zweit-, Dritt- und Viert-Ehen von Prominenten aller Art als
Normalfall behandelt, in der Scheidungsraten steigen und Kinderzahlen sinken.
Wie viel angemessener erschiene dem Geist dieser Zeit doch die Formel „Ich will
dich lieben, solange es halt geht“, oder „Ich verspreche dir die Treue in allen
unseren guten Tagen... und bis unsere Liebe stirbt“.
Das hohe Ideal der lebenslangen Verbindung von einem Mann mit einer Frau
entspricht unserer zwar vielfach ignorierten oder verschütteten, aber sich doch
immer wieder bemerkbar machenden Menschennatur. Die
Schöpfungsberichte der Bibel geben darüber Auskunft: In einer poetischen
Sprache ist hier davon die Rede, dass der erste Mensch das Paradies zwar genießt,
aber kein Wesen findet, das ihm wirklich entspricht. Da erschafft Gott die Frau
und führt sie dem Mann zu – worauf dieser in Jubel ausbricht. Kein Wunder, dass
die Erzählung mit einer bis heute treffenden Prognose schließt: „Darum wird ein
Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und
beide werden zu einem Fleisch.“ – Zu „einem Fleisch“ werden sie vor allem in
ihren Kindern, von denen Vater und Mutter mit einem gewissen Recht sagen, sie
seien „mein eigen Fleisch und Blut“.
Monogamie und Unauflöslichkeit
sind die beiden signifikantesten Charakteristika der christlichen Ehe
im Gegensatz zur Naturehe, zu außerchristlichen religiösen oder auch
säkularen Ehe-Modellen. Sie sind zugleich die Chance für die Frau, im
unauflöslichen Lebensbund als gleichberechtigte Partnerin neben ihrem Mann zu
stehen, ohne mit Nebenfrauen konkurrieren zu müssen oder verstoßen werden zu
können. Als Mensch gleicher Würde ist sie nicht beliebig austauschbar, wenn sie
alt und runzelig wird oder ihre „Funktionen“ nicht (mehr) erfüllt.
Leichter macht es das Scheidungsverbot Jesu den Menschen sicher nicht. Das
erkannten schon die Apostel, die stöhnten: „Wenn das die Stellung des Mannes in
der Ehe ist, dann ist es nicht gut zu heiraten.“ Nein, für Bequeme ist die Ehe
nichts! Dem Ja-Wort vor dem Traualtar müssen täglich neue Ja-Worte folgen. Doch
nur eine solche Beziehung wird dem gottebenbildlichen Menschen und der Größe
seiner Würde gerecht: Du, ganz und alleinig Du, und Du für immer! – Ist das
nicht das größte Kompliment, das ein Mann einer Frau, und umgekehrt eine Frau
einem Mann machen kann?
Und ist es nicht die größte Beleidigung eines Menschen, ja geradezu ein Verstoß
gegen seine Menschenwürde, wenn ich ihm sage: „Du bist ganz O.K. für mich –
zumindest jetzt und hier, für eine gewisse Zeit, für diesen Lebensabschnitt.“
Heißt nicht „Ehe auf Probe“, dass man meint, einen Menschen ausprobieren zu
können und zu dürfen – um ihn dann vor Ablauf der Garantiefrist ins Regal
zurückzustellen?
Rapide hat sich in den
zurückliegenden Jahren die staatliche Ehe-Gesetzgebung vom christlichen
Ehe-Verständnis entfernt. Aus christlicher Sicht ist die Ehe ein heiliger Bund,
dem etwas Göttliches anhaftet. Deutlich wird das in der Analogie, die Paulus im
Epheser-Brief zwischen der Ehe und der Beziehung Christi zur Kirche zieht. Das
hat Vorbilder im Alten Testament, wo der Bund zwischen Gott und dem
auserwählten Volk mit einer Ehe verglichen wird. Aber Paulus zieht aus der
Liebe Christi zu seiner Kirche Schlußfolgerungen für
die Ehe von Mann und Frau.
Eigentlich eine sensationelle
Entdeckung:
Die Kirche hat von Anfang an
die Liebesehe propagiert!
Ganz im Gegensatz dazu wurde
ihr immer vorgeworfen, die Liebe zu ersticken, die Vernunftehe vor der
Liebesbeziehung zu sehen, die wahre Partnerschaftlichkeit
von Mann und Frau verraten und die Unterjochung der Frau unter den Männerwillen
betrieben zu haben. Paulus aber schreibt über die Ehe: „Einer ordne sich dem
anderen unter in der gemeinsamen Ehrfurcht vor Christus.“ Solche Partnerschaft
schließt eine „Hierarchie“ zwischen den Eheleuten aus. Auch wenn es faktisch
oft patriarchale und matriarchale Züge in
christlichen Ehen geben mag: dem Paulus-Wort folgend sollten christliche
Eheleute „sich dem anderen“ unterordnen, nicht den anderen sich selbst
unterwerfen.
Achtung vor dem Partner bedeutet für den Mann, in der Weiblichkeit, im
fraulichen So-Sein seiner Gattin das Liebenswerte und Wertvolle zu sehen, sie
in ihrem Anders-Sein anzunehmen. Wenn ein Ehemann seine Frau liebt und achtet,
dann liebt und achtet er an ihr wohl auch, vielleicht sogar besonders jene
Eigenschaften, die er selbst nicht hat.
Wenn eine Gesellschaft die Frau als Frau akzeptiert, dann versucht sie weder
ihre Fraulichkeit als etwas Minderwertiges abzuqualifizieren (wie dies in
vielen Kulturen der Welt geschieht), noch sie zur „Männin“
zu „emanzipieren“. Unter Berufung auf den Schöpfungsbericht der Bibel können
Frauen beanspruchen, nicht Männer-Karrieren machen und Männer-Gehabe tun zu
müssen, um geachtet zu werden. Frauen müssen in ihrer Weiblichkeit respektiert
und als gleichwertig behandelt werden – in der Ehe ebenso wie in der
Gesellschaft.
Wer immer das Licht der Welt
erblickt, wird als Kind eines Vaters und einer Mutter geboren. Nichts ist
deshalb selbstverständlicher, naturgemäßer als Vaterschaft und Mutterschaft. So
sehr sich Familienverständnisse im Laufe der Jahrhunderte wandeln mochten, so
sehr sie nach kulturellen und religiösen Sphären Unterschiede aufweisen mögen,
an Vaterschaft und Mutterschaft war und ist nicht zu rütteln. Aber der Mensch
wäre nicht der Mensch, wenn es ihm nicht gelänge, auch noch das allerklarste
Naturrecht auszuhöhlen und die natürlichsten Bindungen und Verhältnisse
ideologisch zu hinterfragen.
So betreiben gewisse Sozialisten nicht nur die Vergemeinschaftung (sprich:
Verstaatlichung) der Produktionsmittel, sondern auch die der Menschen: Dem
deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder ebenso wie SPÖ-Vorsitzenden Alfred
Gusenbauer scheint zur Familie nicht mehr einzufallen als die Forderung nach
neuen, flächendeckenden Betreuungsplätzen und ganztägiger Gesamtschule.
Dahinter steht das falsche Ideal, die Kinder möglichst rasch und möglichst
umfassend von Vater und Mutter zu entfremden und einer an der Gleichheit
orientierten Einheitserziehung zu unterwerfen. Willy Brandt meinte in diesem
Sinne einst, Erziehung sei eine Aufgabe der Gesellschaft, die diese teilweise
an die Eltern delegiere.
Das Gegenteil ist richtig: Erziehung ist eine Aufgabe von Mutter und Vater, die
subsidiär durch gesellschaftliche und staatliche Kräfte – etwa durch die Schule
– unterstützt werden.
Nichts ist kindgerechter,
natürlicher und menschenwürdiger als mit Vater und Mutter,
möglichst auch noch mit Geschwistern, aufwachsen zu dürfen.
Spielt dann der Vater auch
tatsächlich eine väterliche Rolle und beschränkt seinen Beitrag zur Familie
nicht nur auf deren Finanzierung; kümmert sich die Mutter tatsächlich
mütterlich um ihre Kinder, dann hat das Kind die besten Chancen, psychisch gesund
aufzuwachsen.
Gehörig demoliert wurde das Vaterbild durch den angeblich modernen Kampf gegen
den „Patriarchalismus“ – dessen Spiegelbild zumindest
in Europa weitgehend ein häusliches Matriarchat war und ist. Ergänzt wird diese
Demontage durch den Feminismus, der klugen, lebenstauglichen und dynamischen
Frauen einzureden versucht, dass sie sich nur in der Tretmühle täglicher
Erwerbsarbeit selbst-verwirklichen können, dass sie ihre eigenen Ansprüche in
der Nachahmung des männlichen Lebensstils erringen.
Die modern-kapitalistische Entfremdung zunächst des Vaters und anschließend –
im Namen des Feminismus – auch noch der Mutter von Familie und Kindererziehung
sind ein gefährlicher Irrweg, dessen erste Opfer die Kinder sind. Die zahllosen
tragischen Fälle von Scheidungsweisen, die zahlreichen Fälle von
wohlstandsverwahrlosten Kindern, die es trotz zerrütteter Familienverhältnisse
schaffen, widersprechen dieser These nicht: Kinder brauchen Vater und Mutter,
weil sie Liebe, Geborgenheit, Fordern & Fördern und Vorbilder brauchen. Sie
brauchen die Verschiedenheit der beiden elterlichen Rollen, die Verschiedenheit
von Frau und Mann, Mutter und Vater. Es ist ja kein Zufall, sondern eine alle
Lebenswirklichkeit durchdringende und sinn-volle Wahrheit, dass Gott den
Menschen in zwei Varianten – als Mann und Frau – schuf.
Vorbild aber kann ein Vater nur sein, wenn er das
antiautoritäre Geschnabel vom Vater als bestem
Freund des Kindes beiseite schiebt. Sicher, ein Kind
braucht auch Geschwister, Freunde, Kumpel – aber die Rolle des Vaters ist eine
andere. Nun hätte der widernatürliche Kampf gegen den „Patriarchalismus“
(sprich: die Vaterrolle) wohl keine Chance, wenn er nicht ideologisch
vorbereitet und eingebettet wäre. In der Politik lief die erste große Attacke gegen
die Vaterfigur in der Französischen Revolution: Im Namen der „fraternité“ wurde der Vater des Vaterlandes, der König,
enthauptet. Nun soll hier weder der französische Absolutismus noch die Figur
von Louis XVI. verteidigt werden. Signifikant ist jedoch, dass der Vatermord,
der schon hier von großer symbolischer Bedeutung war, unmittelbar zum
Brudermord geführt hat. Die „Brüderlichkeit“ der Französischen Revolution
mündete in das Blutbad der Guillotinen, wie später die von der Sowjetunion
gepredigte Brüderlichkeit zu Massenmord und Gulag führte. Die „Bruderstaaten“
im Ostblock waren nur Vasallen. Ohne die väterliche Autorität verhalten sich
Brüder eben oft wie Kain und Abel.
Auch die Kirche blieb vom „Kampf gegen den Patriarchalismus“
nicht verschont. Die vielfältigen Rufe nach einer Demokratisierung der Kirche,
aber auch die pseudo-theologischen Uminterpretationen des Petrusamtes zu einer
Art Ehrenvorsitz des Papstes in einem brüderlichen Kollegium gleichberechtigter
Hirten haben eine Zielrichtung: Sie bereiten die Abschaffung des väterlichen
Prinzips in der Kirche vor. Dieses aber hat seinen Ursprung in Gott, den Jesus
selbst als seinen und unseren Vater bezeichnet hat. Mag im Staat die „Gewalt“
vom Volk ausgehen, so geht in der Kirche – so sie Kirche bleiben und nicht zum
Verein degenerieren möchte – alle Gewalt, Vollmacht, Autorität von Gott aus.
Aber nicht nur die päpstliche, die bischöfliche und die priesterliche Autorität
wurzeln letztlich in der (laut Jesus Christus väterlichen) Autorität Gottes und
müssen sich vor dieser auch verantworten. Auch die Eltern verdanken ihre Kinder
dem Schöpfer und haben ihre mit der Elternschaft verbundene Autorität in
Verantwortung vor Ihm auszuüben. Wenn Gott selbst unser aller Vater ist, dann
gibt es auf Erden keine absolute Autorität, sondern nur eine vom Vatergott
abgeleitete, analoge, geliehene.
Nach den offiziellen
Statistiken von „Eurostat“ hat die Bevölkerung in
jenen 15 Staaten, die heute die Europäische Union bilden, in den zurückliegenden
Jahrzehnten kontinuierlich zugenommen. Zählten diese Länder 1960 nur 315
Millionen Einwohner, so kommen sie heute auf 377 Millionen. Ingesamt
übersteigt die Zahl der Lebendgeburten die der Sterbefälle in der EU leicht.
Zwei Entwicklungen sind dabei aber besonders interessant: 1.) die Tatsache,
dass es einige Länder gibt, in denen die Zahl der Sterbefälle jene der
Lebendgeburten seit vielen Jahren überragt, etwa Deutschland, Griechenland,
Italien und Schweden. 2.) die zunehmende Überalterung der EU-Bevölkerung.
Lebten auf dem Gebiet der heutigen EU im Jahr 1960 noch 34 Millionen Menschen,
die älter als 65 Jahre waren, so sind es heute mehr als 62 Millionen. Die
steigende Lebenserwartung wäre überaus erfreulich, wenn es nur genügend
Nachwuchs gäbe, um die Bevölkerungsentwicklung stabil zu halten. Doch genau
dies ist nicht der Fall: Die Fruchtbarkeitsrate liegt im EU-Durchschnitt bei
1,47 Kindern, also deutlich unter der für das Gleichgewicht der Gesellschaft
notwendigen Reproduktionsrate von 2,1.
Wenn in 10 bis 15 Jahren die Babyboom-Jahrgänge langsam das Rentenalter
erreichen, wird unser gesamtes Sozialsystem zur Debatte stehen. Es ist die
jüngere Politikergeneration, die dann ganz neue Ideen braucht, um das
Gesundheits- und Pflegesystem, aber auch das Rentensystem irgendwie zu retten.
Im Jahr 2010 werden nach offiziellen (also eher vorsichtigen) Schätzungen der
EU-Kommission mehr als 18 Prozent der EU-Bürger über 65 Jahre alt sein; „eine
enorme Herausforderung für die europäische Wirtschaft“, wie es euphemistisch im
EU-Sozialreport heißt.
Jeder, der nicht absichtlich die Augen verschließt, muss heute sehen, dass die
Erwerbsbevölkerung in ganz Europa rapide zurückgeht, während gleichzeitig der
Bevölkerungsanteil der Pensionisten – und hier wieder besonders der ganz Alten
– steil ansteigt. In rund 20 Jahren, wenn die ersten Kohorten der
Babyboom-Jahrgänge den so genannten vierten Lebensabschnitt erreichen, wird der
Bedarf an Langzeitpflege und aufwendiger Gesundheitsversorgung ins Unbezahlbare
steigen.
Tatsache ist, dass eine – Gott sei Dank! – immer älter werdende und auch in
relativer Gesundheit alt werdende Generation der Über-65-Jährigen an Umfang und
damit auch an Einfluss gewinnt. Die Pensionisten werden immer mehr zur
wahlentscheidenden Größe. Was Bundeskanzler Franz Vranitzky bereits 1995 mit
seinem Brief an die Pensionisten vorführte, könnte unter Politikern desto mehr
Mode werden, je größer der Anteil der Pensionisten an der Wahlbevölkerung wird,
und je vehementer diese Generation ihre wohlerworbenen Rechte gegen den
eigenen, viel zu geringen Nachwuchs verteidigt. Umgekehrt wird der soziale
Druck auf die Alten – vor allem auf die Sehr-Alten und zugleich Kranken – enorm
steigen, worauf ich unter dem Stichwort „Euthanasie“ noch zu sprechen komme.
Nicht die heute 20jährigen sind für das demographische Ungleichgewicht
verantwortlich, sondern ihre Elterngeneration. An diese Generation stellt sich
heute ein mathematisches Rätsel, das nur schwer zu knacken ist:
Wenn immer weniger
Erwerbstätige immer mehr Pensionisten mitfinanzieren müssen,
woher sollen sie dann das Geld (und den Mut) nehmen,
selbst noch Kinder in die Welt zu setzen?
Schon heute gilt für ganz
Europa, was die EU-Kommission so auf den Punkt bringt: „Man heiratet weniger
und später, und immer mehr Ehen gehen in die Brüche.“
Wenn erst einmal das Pensionssystem ins Wanken gerät, wenn Pflege- und
Gesundheitssystem krachen, wenn der Staat die Steuerschraube zur Finanzierung
des Sozialsystems so eng gezogen hat, dass uns die Luft zum Atmen ausgeht, dann
wird der Mut zur Familiengründung auf dem Gefrierpunkt gelandet sein. Junge
Paare werden sich die Frage stellen, ob sie sich Kinder noch leisten können,
wenn sie sich schon die Finanzierung der Pensionisten, des viel zu teuren Staates
und des ihnen anerzogenen Lebensstils nicht leisten können. Das gesamte
gesellschaftliche Klima wird rauer werden: Die Konfrontation zwischen der
erwerbstätigen und der nicht-mehr-erwerbstätigen Generation wird zunehmen.
Ich habe die demographische
Entwicklung mit so vielen Zahlen geschildert, weil es sich hier um einen
europäischen Trend handelt, auch wenn die Entwicklungen in den Mitgliedsstaaten
der EU nicht gleich schnell und nicht gleich dramatisch laufen. Nicht aus
ethischen Erwägungen, nicht aus irgendeiner Weltanschauung, nicht aus Mitleid
mit den Familien, auch nicht aus Sympathie, sondern schlicht aus Vernunft
sollte die Politik die Familie in das Zentrum ihrer Überlegungen stellen. Die
Entscheidung von Eltern, ob und wie viele Kinder sie bekommen, ist eine sehr
persönliche Entscheidung – aber zugleich hängt das Wohl der Gesellschaft davon
ab.
Deshalb ist es absurd, wenn der Staat Kinder als eine Art Privatvergnügen
egoistischer Eltern betrachtet. Der heilige Augustinus nannte die Familie mit
Recht eine „Pflanzstätte der Gesellschaft“, denn sie ist nicht nur eine
natürliche und soziale Einheit, sondern eine geistige und sittliche Gestalt,
die weder auf den Einzelnen noch auf die Gesellschaft oder den Staat
reduzierbar ist. Dies erweist sich vor allem da, wo der Staat ihre ureigensten Rechte missachtet. Bereits Papst Pius XII.
warnte in einer Ansprache am 19.3.1953: Wenn die Familie nicht mehr „die
Grundlage der Gesellschaft, der erste Raum jeder Erziehung und Kultur“ ist,
würden Entpersönlichung und Vermassung die Folge sein. Die Familie darf also
weder auf die Funktion einer gesellschaftlichen Sozialisations-Agentur
reduziert werden, noch als bloßer Ort biologischer Reproduktion der Bevölkerung
gesehen werden. Die Familie hat eine eigene Würde, die unmittelbar aus der
Würde des Menschen selbst fließt.
Der Staat hat – um der Würde des Menschen willen – die Familie also zunächst zu
respektieren und zu schützen. Auch wenn die Familie – teilweise aus
ideologischen Motiven, teilweise aus den Sachzwängen des Lebens und aus
praktischen Erwägungen – heute weitgehend von Kindergärten, Schulen,
staatlichen und zivilen Hilfseinrichtungen vieler Art in ihrer Bedeutung
zurückgedrängt wurde, so wäre die Vorstellung eines von der Familie gänzlich
„befreiten“ Menschen für die meisten unserer Zeitgenossen noch immer eine
Horrorvorstellung.
Aber wir nähern uns dieser Angst machenden Utopie bereits in raschen Schritten,
die ich karikierend so überzeichnen möchte: Kinder, die „in vitro“, also im
Reagenzglas statt von Vater und Mutter gezeugt werden, seit frühester Kindheit
abgeschoben zu „Tagesmüttern“, weggesperrt in Kinderhorte, Kindergärten,
Ganztagsschulen. Sollten sie einmal zufällig gleichzeitig mit ihren
vielbeschäftigten Eltern zu Hause sein, ermöglichen das Fernsehen, der Computer
und der Gameboy ein absolut kommunikationsfreies und begegnungsarmes
Nebeneinander. Da die gestiegene Lebenserwartung die Großfamilie eher
begünstigen würde, ruft man nach sozialen Einrichtungen, um die Alten und
Kranken aus dem Gesichtsfeld der Leistungsgesellschaft zu entfernen: Alten- und
Pflegeheime kümmern sich professioneller als die Verwandten um die gealterten
Menschen, bis sie in einem hochtechnisierten und anonymen Krankenhaus der Tod
ereilt. Auch ihn – den Tod – überlässt man nicht mehr Unwägbarkeiten, sondern
macht ihn (unter dem Stichwort „Euthanasie“) für Betroffene, Ärzte, Angehörige
und Erben planbar.
Eine solche Horrorvision nicht
Wirklichkeit werden zu lassen, ist nicht nur im Interesse von Kirchen oder idealistischen
Vereinen, sondern im Interesse der ganzen Gesellschaft. Der Staat hat die
Aufgabe, dort subsidiär zu helfen, wo Einzelne und gesellschaftliche Kräfte
nicht ausreichen. Deshalb gibt es überhaupt Sozialpolitik. Ein Beispiel: Die
Einrichtung und Förderung von Krankenhäusern oder Schulen ist kein Luxus und
auch keine Frage der Wohltätigkeit, sondern des öffentlichen Interesses an
gesunden und gebildeten Menschen. Ebenso sind die Stabilisierung, der Schutz
und die Förderung der Familie kein ideologisches oder religiöses Thema, sondern
eine Frage der Gerechtigkeit.
Wenn diese Analyse richtig ist, muss es erlaubt sein, folgende Fragen zu
stellen: Was tut die nationale und europäische Politik, um Familienbildung zu
fördern? Wie fördert sie die Freiheit junger, auch gebildeter und gut
ausgebildeter Frauen, sich für Kinder, möglicherweise für mehrere Kinder zu
entscheiden? Wie viel investieren Staat und Europäische Union in das physische
Überleben der Gesellschaft? Wie viel ist es der Gesellschaft wert, dass Kinder
geboren und zu verantwortungsbereiten, leistungswilligen, psychisch gesunden
und sozial denkenden jungen Menschen erzogen werden?
Obwohl es zu nahezu
unüberschaubar vielen Themen heute eine EU-einheitliche Politik oder zumindest
eine europäische Strategie gibt, kann von einer europäischen Familienpolitik
noch keine Rede sein. Die „Grundrechte-Charta“ der EU, die auch Bestandteil der
künftigen Europäischen Verfassung sein wird, nennt die Familie nur dreimal. Der
wichtigste Satz lautet: „Der rechtliche, wirtschaftliche und soziale Schutz der
Familie wird gewährleistet. Um Familien- und Berufsleben miteinander in
Einklang bringen zu können, hat jede Person das Recht auf Schutz vor Entlassung
aus einem mit der Mutterschaft zusammenhängenden Grund sowie den Anspruch auf
einen bezahlten Mutterschaftsurlaub und auf einen Elternurlaub nach der Geburt
oder Adoption eines Kindes.“
Obwohl Familienpolitik nationale Zuständigkeit ist, ist klar, dass europäische
Institutionen durch eine Vielfalt von Stellungnahmen, Verordnungen und
Richtlinien die Entwicklung in diesen Bereichen beeinflussen. Wir können also
nicht eine offizielle EU-Politik, sondern allenfalls Trends analysieren. Drei
solche Trends, die den Zielen einer kinderfreundlichen und familienfreundlichen
Gesellschaft zuwiderlaufen, will ich zeigen:
Nach Angaben der
„International Planned Parenthood
Federation“ (IPPF), also einer die Abtreibung
befürwortenden Organisation, werden jedes Jahr weltweit 46 Millionen
Abtreibungen vorgenommen, davon 17 Prozent in Europa; das sind 7,8 Millionen
Kinder.
Ein Blick auf die Rechtslage und auf die gesellschaftliche Wirklichkeit zeigt,
dass von europäischer Einheitlichkeit hier keine Rede sein kann. Während in den
Niederlanden eine Abtreibung in Kliniken und Krankenhäusern bis zur
angenommenen Lebensfähigkeit, nämlich innerhalb der ersten 22 Wochen, legal und
für Frauen mit inländischem Wohnsitz auch kostenlos ist, kennt Irland keine
legalen oder straffreien Abtreibungen. In Dänemark kann bis zur 12. Woche
straffrei und kostenlos abgetrieben werden; in Schweden bis zur 18. Woche ohne
Angabe des Grundes und nachher mit Sondergenehmigung; in Österreich jedenfalls
bis zur 12. Woche, im Falle einer eugenischen
Indikation aber unbefristet.
Obwohl die Abtreibungsgesetzgebung nicht in die Kompetenz der EU fällt, und
entsprechend auch deren Beitrittskandidaten nicht vorgeschrieben werden kann,
gibt es doch immer wieder Stimmen, die dies wollen. So verlangten Feministinnen
im Europäischen Parlament, die EU-Kommission solle eine Änderung der polnischen
Rechtslage bezüglich Abtreibungen zur Vorbedingung des EU-Beitritts machen.
Unter dem Stichwort „sexuelle und reproduktive Gesundheit“ findet die Forderung
nach einem „Recht auf Abtreibung“ immer wieder Eingang in offizielle, wenn auch
nicht rechtsverbindliche Texte des Europäischen Parlamentes.
Die Bemühungen kämpferischer Abtreibungsbefürworter, ein „Recht auf Abtreibung“
zu verankern, wurde auch im „Konvent für eine
europäische Grundrechte-Charta“ sichtbar. Allerdings ohne Erfolg. Die
EU-Grundrechte-Charta hält stattdessen in Artikel 1 fest: „Die Würde des
Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen.“ In Artikel 2 (1)
heißt es: „Jede Person hat das Recht auf Leben.“ Artikel 2 (2) lautet: „Niemand
darf zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden.“ Artikel 3 (1) ist
ebenfalls relevant:
„Jede Person hat das Recht auf
körperliche und geistige Unversehrtheit.“
Um diese zitierten Stellen der
Grundrechte-Charta mit der europäischen Abtreibungswirklichkeit in Einklang zu
bringen, bedarf es wohl einiger philosophischer und juristischer Akrobatik.
Anstatt den betroffenen Frauen Mut zum Kind zu machen und konkrete – auch
wirtschaftliche – Anreize zu geben, das gezeugte Kind auch zu gebären,
propagieren staatliche Institutionen weiterhin die Abtreibung: Abtreibung solle
„legal, sicher und für alle zugänglich sein“, forderte das Europäische
Parlament in einer Entschließung über „sexuelle und reproduktive Gesundheit“,
die Anfang Juli 2002 in Straßburg mit einer knappen Mehrheit angenommen wurde.
Unter dem Deckmantel der Entwicklungshilfe finanziert die EU auch Abtreibungen
und Sterilisationen in der sog. Dritten Welt. Am 22. Juli 2002 beschloss die
US-amerikanische Regierung, eine Unterstützung für den „Bevölkerungsfonds der
Vereinten Nationen“ (UNFPA) in Höhe von 34 Millionen US-Dollar zu stoppen.
Präsident Bush stützte sich dabei auf ein Gesetz aus dem Jahr 1985, das die
Unterstützung von Organisationen verbietet, die erzwungene Abtreibungen und
unfreiwillige Sterilisationen entweder fördern oder organisieren. Genau dies
jedoch werfen nicht nur Lebensschützer in den USA dem UNFPA seit langem vor,
insbesondere wegen dessen Verteidigung und Unterstützung der Familienplanung in
China. Wenige Tage nachdem Washington die Gelder für UNFPA gesperrt hatte,
beschloss die EU-Kommission in Brüssel, ebendieser Organisation 32 Millionen
Euro für Programme der Familienplanung und der „reproduktiven Gesundheit“ zur
Verfügung zu stellen. Die EU habe im Jahr 2000, so teilt die Kommission mit,
Aktivitäten im Bereich der „reproduktiven Gesundheit“ mit insgesamt mehr als
300 Millionen Euro unterstützt.
Auch die in den Niederlanden
und in Belgien praktizierte Euthanasie lässt sich mit den ersten drei Artikeln
der Grundrechte-Charta kaum vereinbaren. Diese beiden Länder gehen bei der
aktiven Sterbehilfe (korrekter: Tötungshilfe) einen Sonderweg, dem die übrigen
Länder zumindest bisher nicht folgen wollen. Es handelt sich um einen Weg, der
die Solidarität innerhalb der Familie und zugleich die Solidarität der
Gesellschaft mit der Familie untergräbt.
In den Niederlanden einigten sich 1991 die Ärztevereinigung und das Justizministerium
auf ein freiwilliges Meldeverfahren für Euthanasie und medizinisch begleiteten
Selbstmord. 1999 beschloss die Regierung eine Reform, wonach Ärzte die
Euthanasiefälle nur an eine eigens dafür eingerichtete Kommission zu melden
haben und die Staatsanwaltschaft nur in Ausnahmefällen aktiv werden darf. Unter
bestimmten Bedingungen sollten auch Jugendliche ab 12 Jahren ohne Einwilligung
der Eltern nach Euthanasie verlangen dürfen. Nach der Zustimmung beider Kammern
des Parlamentes trat dieses Gesetz im April 2002 in Kraft.
In Belgien trat im selben Monat ein Gesetz in Kraft, das eine straffreie
Euthanasie vorsieht, wenn ein Patient den Wunsch nach lebensbeendenden
Maßnahmen bei Bewusstsein, mehrfach und freiwillig, schriftlich oder vor Zeugen
geäußert hat. Eine schriftliche Willensäußerung kann bis zu 5 Jahre alt sein.
Euthanasie ist hier auch dann möglich, wenn der Patient nicht in der Endphase
seiner Krankheit ist. Es kann also jemandem aktiv das Leben genommen werden,
der noch mehrere Jahre zu leben hätte.
Im Europäischen Parlament gibt es zu diesem Thema, wie sich im Frühjahr 2001
zeigte, keine Einigkeit. Als die in der „Europäischen Volkspartei“ vereinten
Christdemokraten und Konservativen eine Euthanasie-Debatte abhalten wollten,
leisteten Sozialisten und Grüne Widerstand. Sie seien, so ließen sie verlauten,
nicht grundsätzlich gegen eine solche Debatte, doch müssten sie sich besser
darauf vorbereiten. Erstaunlich, dass Fraktionen, die sich kompetent fühlen,
über Details des Umweltschutzes, der weltweiten Fischerei, des Urheberrechts im
Internet oder die Freisetzung gentechnisch veränderter Organismen detaillierte
Rechtsvorschriften zu befürworten oder abzulehnen, sich in der Frage der Erlaubtheit des Tötens von Menschen nicht zu einer Stellungnahme
durchringen können.
In dem "Bericht über die Lage der Grundrechte in der Europäischen
Union", der im September 2003 mit knapper Mehrheit angenommen wurde, freut
man sich, „dass im Jahr 2002 in mehreren Mitgliedsstaaten die stets aktuellere
Frage der Entkriminalisierung der aktiven freiwilligen Euthanasie gestellt
wurde". Auch wenn diese heute in nur 2 von 15 Mitgliedsstaaten straffrei
ist, sollte man wachsam sein. Die sich beschleunigende demographische
Entwicklung wird in Kürze wohl die Phantasie vieler anregen.
Der entscheidende Durchbruch
kam 1976. Damals strich die UN-Weltgesundheitsorganisation die Homosexualität
von der Liste der seelischen Erkrankungen. Die Homo-Lobby hatte seit Jahren
getrommelt, Homosexualität sei eine normale, wenn auch seltenere Spielart der
Natur. Dann ging es Schlag auf Schlag: In Deutschland hob die Strafrechtsreform
von 1976 die Strafbarkeit homosexueller Handlungen unter Erwachsenen auf. Seit
1995 ist homosexuelles Tun auch mit Minderjährigen erlaubt. Dänemark erlaubte
1989 die Registrierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Norwegen zog
1993, Schweden 1995, Island 1996 nach. In den Niederlanden ist seit April 2002
eine standesamtliche Eheschließung für homosexuelle Pärchen möglich.
Die in Deutschland seit 1.8.2002 ermöglichte „Eingetragene Lebenspartnerschaft“
heißt nicht zufällig im Volksmund „Homo-Ehe“. Geregelt sind hier nicht nur
Unterhaltspflichten, Erbrecht, Auskunftsrecht im Krankenhaus und
Zeugnisverweigerungsrecht des homosexuellen Lebenspartners gegenüber
Staatsanwaltschaft und Polizei, sondern auch die Möglichkeiten eines
gemeinsamen „Familien“-Namens und das so genannte „kleine Sorgerecht“ über die
Kinder des einen Partners. Im Klartext: Bringt ein Mann leibliche oder
adoptierte Kinder in die „Lebenspartnerschaft“ mit, kann sein schwuler
Lebenspartner bei der Erziehung der Kleinen mitwirken. Anstelle von Mutter und
Vater mit ihren jeweiligen Rollen und ihren unterschiedlichen Veranlagungen
erlebt der Heranwachsende dann Papa und Stief-Papa. Welches Selbstverständnis,
welches Menschenbild, welches Verständnis von Ehe, Liebe und Familie junge
Buben oder Mädchen in einer solchen Homo-Familie entwickeln, scheint niemanden
zu interessieren.
Oder vielleicht doch? Gabi Binder, die Familiensprecherin einer sozialistischen
Vorfeldorganisation in Österreich, die sich ausgerechnet „Kinderfreunde“ nennt,
sagt: „Es ist nicht einzusehen, warum homosexuelle Paare mit Kindern in einem
rechtlichen Niemandsland leben und keinerlei Früchte unserer Familienpolitik
ernten dürfen.“ Ihre Begründung: Nicht die Form einer Elternbeziehung, sondern
die Qualität sei für die Entwicklung eines Kindes wichtig.
Könnte es vielleicht Absicht sein, dass hier grundlegendste Erkenntnisse der
Psychologie – also einer noch vor kurzem als modern bevorzugten Wissenschaft –
systematisch ignoriert werden? Will man nicht mehr wahrhaben, dass für junge
Buben und Mädchen die mütterliche und väterliche Bezugsperson die beste
Voraussetzung zur Reifung der eigenen Identität und zur Entwicklung einer
verantworteten Sexualität ist? Ist es bereits „konservativ“ und
„diskriminierend“ darauf hinzuweisen, dass der Schöpfer (für Atheisten: die
Natur) den Menschen in zwei grundlegend verschiedenen Ausgaben schuf: als Frau
und als Mann nämlich?
Und ist man vielleicht hoffnungslos vormodern, wenn man anmerkt, dass der
Schöpfer (bzw. die Natur) einen Link zwischen der normalen sexuellen
Vereinigung und der Fortpflanzung, also der Weitergabe des Lebens hergestellt
hat?
Warum eigentlich plädieren
aufgeklärte Zeitgenossen
in der Umweltpolitik so massiv dafür, von der Natur zu lernen
– und weigern sich in der Gesellschaftspolitik so hartnäckig,
dies auch nur zu tolerieren?
Die hochaktiven, vernetzten
und professionell agierenden Netzwerke der rosaroten Lobby können sich so
manchen Sieg auf die Fahnen heften: Im Europäischen Parlament setzten sie 1994
eine Entschließung durch, in der die Mitgliedsstaaten der EU aufgefordert
werden, „homosexuellen Paaren alle rechtlichen Regelungen für heterosexuelle
Paare zu eröffnen“ und „im Zusammenwirken mit den nationalen Lesben- und
Schwulenorganisationen Maßnahmen und Kampagnen zur Bekämpfung jeglicher Form
der sozialen Diskriminierung von Homosexuellen einzuleiten“. Die EU-Kommission solle
festlegen, so heißt es in dem Text, dass bereits „die Kündigung von
homosexuellen Beschäftigten bei den Kirchen und Religionsgemeinschaften“, „ein
Eheschließungsverbot zwischen Menschen gleichen Geschlechts“ oder „die
Verweigerung des Adoptions- und Sorgerechts“ als Diskriminierung gilt.
Für die vermeintlichen Rechte der Homosexuellen konnte sich eine Mehrheit im
Europäischen Parlament stets erwärmen. Im September wurden Finnland für die
Anerkennung der „Rechte der Transsexuellen“ und Belgien für die Homo-Ehe
gelobt. Portugal, Irland und Griechenland wurden für diskriminierende
Altersgrenzen bei homosexuellen Beziehungen gerügt. Alle Mitgliedsstaaten
wurden aufgefordert, homosexuellen Paaren „die gleichen Rechte wie ehelichen
Gemeinschaften einzuräumen“. Ausdrücklich fordert der jüngst verabschiedete
Grundrechtsbericht, „jede Form der - gesetzlichen oder tatsächlichen -
Diskriminierung abzuschaffen, unter der Homosexuelle insbesondere im Bereich
des Rechts auf Eheschließung und auf Adoption von Kindern noch immer leiden“.
„Nicht-Diskriminierung“ und „Toleranz“ sind nicht das letzte Ziel der
Homo-Lobby. Wäre es so, dann könnte sie sich damit zufrieden geben, dass der
Staat sich nicht mehr dafür interessiert, was zwei Erwachsene im privaten Raum freiwilligerweise miteinander treiben. Nein, den nicht
gerade einflusslosen Netzwerken geht es um mehr als um „so-sein-dürfen“. Ein
bekennender Homosexueller schrieb in einer bürgerlichen Wiener Tageszeitung:
„Institutionen, die auf Grund der sexuellen Orientierung diskriminieren (u.a.
Kirchen, Rotes Kreuz), sollten vom Subventionsempfang ausgeschlossen werden und
die Ehe auch gleichgeschlechtlich Liebenden geöffnet werden. Erst dann ist
wahre Gleichstellung vollzogen.“
Wer offizielle EU-Texte zur Familie studiert, wird feststellen, dass hier viel
von der „traditionellen Familie“ die Rede ist, während der Familien-Begriff
zugleich auf diverse Lebenspartnerschaften ausgeweitet wird. Der „Ausschuss für
die Rechte der Frau und Chancengleichheit“ im Europäischen Parlament
formulierte im November 1999 wörtlich: „Rechte der Familie als solche
existieren nicht; es gibt nur die Rechte der Einzelnen, von Frauen, Männern und
Kindern.“ Gegen alle geschichtliche Erfahrung und gegen das gesellschaftliche
Interesse leugnen bestimmte Ideologen die Würde und das Wesen der Familie.
An dieser Stelle müssten wir
philosophisch weiter fragen nach dem Wesen des Menschen und dem Wesen der
Familie, und nach der Beziehung beider zum Staat. Wir müssten auch
sozial-psychologisch weiter fragen, ob in unseren alten Gesellschaften Europas
nicht eine müde, lebensfeindliche, suizidale Mentalität beherrschend geworden
ist.
Wenden wir uns aber unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit zu, in der
Kinderreichtum zum Armuts-Risiko geworden ist, und in der lebenslange Ehe als
Illusion gilt. Es ist unverkennbar, dass Familien in den meisten europäischen
Staaten durch die Steuergesetzgebung schwer diskriminiert werden. Damit es
künftig wieder mehr Gerechtigkeit für die derzeit tatsächlich benachteiligten
Familien gibt, bedarf es großer Reformen.
Lassen Sie mich einige Thesen nennen:
1. Es muss wieder gesellschaftlicher Konsens werden, dass
Kinderreichtum eine ganz persönliche Entscheidung ist, die aber zugleich im
Interesse des Gemeinwohls, im Interesse der Gesellschaft und des Staates ist.
2. Der Staat sollte Frauen in ihrer Entscheidung nicht
bevormunden. Wenn er ihnen wirklich die Freiheit lassen will, sich auch für
Kinder und deren Erziehung zu entscheiden, muss er die Arbeit der Frau in der
Familie als echte Arbeit anerkennen. Das hat weitreichende Folgen für die
Pensionsversicherung, für den Umstieg der Frau in andere Berufsfelder, für die
Bezahlung der Erziehungsarbeit. Der Ideenreichtum der Politiker ist hier noch
mehr gefordert. Denkbar wäre etwa die Anerkennung der Familie als
Kleinunternehmen, damit alle Familienausgaben (für Schule, Wohnung, Erziehung,
Gesundheit etc.) als Betriebsausgaben steuerlich absetzbar werden.
3. Entscheidungsfreiheit für die Frau heißt auch, dass
der Staat seine Gelder nicht in Kinderbetreuungs-Einrichtungen pumpen sollte,
sondern den Müttern in die Hand geben soll. Souverän könnten dann die Mütter
entscheiden, ob sie lieber außer Haus arbeiten und das Geld vom Staat in die
Kinderbetreuung investieren – oder selbst bei den Kindern bleiben und dieses
Geld als Erziehungsgehalt annehmen.
4. Familien brauchen nicht Almosen, sondern
Gerechtigkeit. Dazu gehört auch, dass Eltern ihren Kindern Eigentum übertragen
können sollten, ohne dass sich der Staat daran bereichert. Die Erbschaftssteuer
wirft für viele Kinder nicht nur große praktische Probleme auf. Es ist auch
nicht zu verstehen, warum bereits besteuertes Vermögen noch einmal besteuert
werden darf, wenn es von den Eltern auf die Kinder übergeht. Es handelt sich
hier um eine teilweise Enteignung, bei der der Staat wie eine Räuberbande
auftritt.
5. Wir sollten die Debatten um das Wahlalter beenden und
jedem Menschen ab der Geburt das Wahlrecht geben. Das Kinderwahlrecht (manche
sprechen von „Familienwahlrecht“) kann nur so funktionieren, dass die Eltern
bis zur Volljährigkeit das Wahlrecht für ihre Kinder wahrnehmen. Warum sollte
bei der Wahl nicht funktionieren, was in so vielen anderen Lebensbereichen
täglich funktioniert? Die Eltern entscheiden auch über die Schulbildung und die
Gesundheitsvorsorge ihrer Kinder, warum nicht über ihr Kreuz auf dem
Wahlzettel? Sicherlich aber würde ein Kinderwahlrecht dazu führen, dass sich
die Politik wieder stärker an den Familien – und damit an der Zukunft –
orientieren muss.
Familien brauchen nicht
Almosen, sondern Gerechtigkeit.
Wir brauchen aber darüber
hinaus einen neuen Respekt vor dem Leben, vor der Würde des Menschen, vor der
Würde des Kindes. Ohne eine solche geistige Erneuerung werden alle sozialen
Maßnahmen nicht funktionieren. Und diese Wende im Bewusstsein herbeizuführen,
kann nicht nur Aufgabe von Staat und Parteien sein. Hier sind wir alle
gefordert.