Eröffnungsreferat
beim Symposion vom 19. März 2004
Diözesanbischof DDr. Klaus Küng
Im Hinblick
auf die gesellschaftliche Entwicklung im Großteil der Länder Europas wird wahrscheinlich
vielen die Aussage, die christliche Familie sei eine Hoffnung Europas, als sehr
"mutig" vorkommen. Fast überall – es betrifft auch ursprünglich
christliche Länder – steigt in den letzten Jahren signifikant die Zahl der
Lebensgemeinschaften, von Paaren, die, ohne verheiratet zu sein, zusammenleben.
Wenn manche von ihnen dann doch noch heiraten, z.B. wegen der Kinder, weil sie
irgendwie den Segen Gottes möchten oder weil ihre Entscheidung gereift ist,
dann geschieht es meist erst nach mehreren, oft nach ziemlich vielen Jahren.
Charakteristisch für die Entwicklung ist weiters die
hohe Anzahl von Scheidungen und vor allem der demographische Winter. Die Zahl
der Kinder ist zu gering, um eine gesunde Regeneration der Bevölkerung zu
erreichen. Europa vergreist.
Manche, nicht wenige auch innerhalb der Kirche, sind der Auffassung, dass diese
Entwicklungen auf Grund der Lebensverhältnisse unumkehrbar seien auch in an
sich christlichen Ländern. Wie kann man da behaupten, die christliche Familie
sei eine Hoffnung für Europa?
Zunächst:
Wie die Geschichte des Christentums und der Völker zeigt, ist nicht immer die
Anzahl der Gläubigen für die Verbreitung oder Nichtverbreitung bestimmter
Ideale ausschlaggebend. Am Anfang gab es jedenfalls nur sehr wenige Christen,
die sich noch dazu in einem gesellschaftlichen System bewegen mussten, das
heidnisch dominiert war. Man konnte nicht offen über den Glauben reden,
jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. Es kam zu teils heftigen Verfolgungen
mit schlimmen Folgen. Trotzdem: das römische Reich ist untergegangen, das
Christentum dagegen hat sich ausgebreitet und etabliert. Ähnliches ist in allen
Erdteilen bis auf den heutigen Tag wiederholt geschehen.
Vielleicht werden Sie einwenden: Da gibt es einen großen Unterschied: Die
Christen von damals waren Martyrer. Heute sind die
meisten "laue" Christen. Mit lahmen Soldaten kann man keinen Krieg
führen. Da ist etwas Wahres daran. Allerdings gab es im Laufe der Jahrhunderte
schon des Öfteren ähnliche Situationen wie heute. Denken wir z.B. an die so
genannten "dunklen Jahrhunderte" (8.-11. Jh.) mit Niedergang der
Sitten beim Klerus, in den Klöstern, in den Familien. Oder denken wir an die
Zeiten vor der so genannten Reformation und auch danach oder an die Epoche des
Kulturkampfes. Chesterton hat einmal pointiert gesagt, dass es im Laufe der
Geschichte etwa dreißigmal so aussah, als sei das Christentum endgültig auf den
Hund gekommen. Gestorben sei aber jeweils der Hund ....
Heilige haben eine Änderung herbeigeführt. Diese Änderung begann bei Einzelnen,
in Gruppen, in Gemeinschaften. Es kam zu Konversionen, neue Berufungen wurden
geweckt, neue Gemeinschaften sind entstanden; Missionsbewegungen entfalteten
sich.
Also: Warten auf Heilige? – Ja und nein. Wir sollten die Dokumente des II.
Vatikantischen Konzils von neuem studieren. Dort ist vom universalen Ruf zur
Heiligkeit die Rede. Nicht nur Priester, Ordensleute und andere besonders
Begnadete sind angesprochen, sondern alle Getauften und Gefirmten, Verheiratete
und Unverheiratete, Männer und Frauen, junge und alte Menschen. Sogar Kranke
können mitwirken.
Sie werden vielleicht sagen: Das ist schön, aber das greift nicht ... – Meine
Antwort darauf: Es wird (muss) greifen. Gott führt nämlich die Kirche und jeden
Einzelnen dazu. In unserer Zeit kann man als Christ mit Halbheiten nicht
bestehen. Das gilt für jeden einzelnen Gläubigen, auch für die Familie (im
Kleinen wie im Großen). Nur wer sich dessen bewusst wird: Wenn ich nicht
anfange, mein Christsein ernst zu nehmen und daher bestimmte Akzente setze, mir
Zeit für Besinnung und Gebet nehme, mir geistige Nahrung suche, mein
geistliches Leben pflege, auf manche Dinge, die heute weit verbreitet sind,
verzichte, nicht mittue, wo dies für einen Christen nicht angebracht ist, kann
ich nicht bestehen. Und wer sich einfach treiben lässt, nur Mitläufer ist, wird
unvermeidlich lau, innerlich leer, läuft Gefahr, den Glauben zu verlieren. Er
entwickelt sich nicht mangels Nahrung, wird von anderem überdeckt, er erstickt,
verflüchtigt sich. Es ist aber auch heute möglich, treu zu sein,
Schwierigkeiten zu überwinden. Allerdings: Ohne die Hilfe Gottes zu suchen,
ohne sich über das Evangelium und die eigene Lebensgestaltung im Alltag
Gedanken zu machen, ohne ernsthaftes Streben geht das nicht.
braucht
eine gewisse Kreativität, auch das Gespräch mit den Kindern, besonders wenn sie
größer werden, um den Sonntag gemeinsam zu gestalten, die Freizeit zu nützen,
Krisen zu bewältigen, geeignete Wege für ein friedliches Miteinander zu
erkennen usw.
Aus dem bewussten Streben nach Umsetzung des Glaubens in den heutigen
Verhältnissen entsteht ein Vorgang, der das Leben des Einzelnen und einer
Gemeinschaft verändert, verwandelt. Freude und Frohsein entstehen, eine tiefer
werdende Liebe wird geweckt. Das hat Chancen auszustrahlen und andere
anzuziehen. Also hat die heutige Entwicklung auch eine positive Seite. Es ist
ähnlich wie in den Anfängen des Christentums.
Eine der Zielsetzungen der "Initiative Hauskirche" besteht darin, den
Familien heute beizustehen und ihnen ein "Know-how" zu vermitteln.
Die "Initiative Hauskirche" entspricht einem Bedürfnis unserer Zeit,
einer Notwendigkeit.
Die "Initiative Hauskirche" wurde aber auch aus anderen Gründen ins
Leben gerufen: Wegen der derzeitigen Situation von Kirche und Gesellschaft.
In
unserer Zeit ist die Gesellschaft durch Pluralismus gekennzeichnet. Er hängt
damit zusammen, dass auch in ursprünglich christlich geprägten Ländern nicht
wenige sich vom Glauben zurückgezogen haben, unterschiedlich am kirchlichen
Leben Anteil nehmen: Manche praktizieren konsequent, gehen jeden Sonntag zur
Messe, sind voll identifiziert mit den Aussagen des Glaubens, bemühen sich um
die Einhaltung der Gebote Gottes. Andere sind nur teilweise mit der Kirche
identifiziert, nehmen nur fallweise am Gottesdienst teil. Wieder andere suchen
nur sporadisch bei bestimmten Anlässen und Gelegenheiten eine Kirche auf, sind
gerade noch getauft, leben aber eigentlich nicht christlich.
Der Einzelne – das beginnt schon beim Kind im Kidergarten
– begegnet dadurch unterschiedlichen Einstellungen und Haltungen, merkt
vielleicht in manchen Belangen, dass fast niemand so denkt wie er oder wie die
Kirche lehrt. Wenn es früher in einer durchwegs christlich geprägten
Gemeinschaft auffallend war oder fast unerträglich, wenn ein junges Paar
zusammenzog ohne verheiratet zu sein, ist jetzt manchmal genau das Gegenteil
der Fall: jemand, der konsequent jeden Sonntag oder sogar täglich die hl. Messe
besucht, obwohl dieser dadurch dem Gebot der Kirche entspricht, erscheint
beinahe als übertrieben, extrem, weil das fast niemand tut.
Durch den Pluralismus ist die Wertevermittlung schwierig geworden: das ist in
praktisch allen Bildungseinrichtungen ein Problem. Die Situation hat sich sehr
stark verändert. An der Universität war diese Situation (dass viele der
Professoren nicht christlich orientiert, sondern oft dem Glauben gegenüber
kritisch eingestellt waren), schon im 18. und 19. Jahrhundert häufig.
Inzwischen zeigt sich diese Atmosphäre auch an fast allen Gymnasien und
Hauptschulen, manchmal schon im Bereich der Volksschulen und sogar der
Kindergärten. Ein ähnliches Bild finden wir weitgehend in der Berufswelt, und
die Medien sind ein Spiegelbild der Gesellschaft bzw. wird
in ihnen durch Werbemechanismen, durch die "Notwendigkeit",
interessant zu sein, viel Negatives verstärkt.
Die Aufgabe der Pfarre ist heute viel schwieriger geworden, weil unter anderem
die Stütze durch die Schule weitgehend wegfällt. Der Religionsunterricht hat
selbst-verständlich weiterhin seine große Bedeutung. Aber wenn von zwanzig
Kindern nur drei bis vier aus Familien stammen, in denen gebetet wird, dann ist
es nicht einfach, in den Glauben einzuführen und die Kinder für den Empfang der
Sakramente vorzubereiten. Außerdem wird die Einführung der Kinder in das
christliche Leben überhaupt problematisch, wenn das Beispiel der Eltern ganz
fehlt.
In
dieser Situation kommt der christlichen Familie eine besonders große Bedeutung
zu: einerseits weil alle Anstrengungen der Pfarre und der Schule ohne Rückhalt
der Familie in der Regel wenig fruchtbar sein werden, andererseits weil das
Vorbild der Eltern und Geschwister sowie anderer christlicher Familien auch
heute einen festen Halt zu geben vermögen, obwohl nicht verschwiegen werden
darf, dass es die christliche Familie heute nicht leicht hat und das Bemühen
der Eltern noch keine Garantie dafür bedeutet, dass die Kinder sicher ihren Weg
finden werden.
Die "Initiative Hauskirche" setzt an den Erfahrungen der Christen in
kommunistischen, atheistischen Ländern an. Bei Beginn eines neuerlichen
missionarischen Versuches in Japan, das Evangelium zu verkünden, stellten die
damit beauftragten Jesuiten-Patres mit Erstaunen fest, dass manche das
Christentum bereits kannten, obwohl jahrhunderte lang
keinerlei Seelsorge geschehen war. Durch die Weitergabe des Glaubens in und
durch Familien war doch hier und dort noch ein gewisses christliches Leben
vorhanden. Ähnliche Erfahrungen wurden insbesondere im 20. Jahrhundert vor
allem in den kommunistischen Ländern gemacht. Das II. Vatikanische Konzil hat
von neuem den Begriff Hauskirche aufgegriffen, weil einer weitgehend
säkularisierten Gesellschaft der Familie für die Glaubensvermittlung eine
besondere Bedeutung und Aufgabe zukommt.
Freilich darf nicht übersehen werden, dass die Familie durch die Entwicklungen
der Gesellschaft, die Veränderungen in den Bildungseinrichtungen, in den
Pfarren selbst betroffen und dafür nicht vorbereitet ist. In früheren Zeiten
war es oft auch gar nicht bewusst, dass sich die Eltern um die
Glaubensvermittlung für die Kinder kümmern sollten. Sie sagten: Das ist Aufgabe
des Religionsunterrichtes bzw. des Pfarrers...
Die
Familie ist die Grund- und Keimzelle der Kirche, zugleich auch der
Gesellschaft.
Sie ist eine von der Gründung her selbst gewählte Einheit. Ein Mann und eine
Frau, die sich lieben lernten, haben sich füreinander entschieden und im
Vertrauen auf Christus für immer zusammengeschlossen, um gemeinsam mit den
Kindern, die ihnen Gott schenkt, den Lebensweg zu bewältigen. Bezüglich Kinder
bedeutet dies zugleich ihre Bereitschaft, diese großzuziehen und auf das Leben
vorzubereiten.
Die
christliche Familie ist ein wichtiges gemeinsames Unternehmen.
Man
könnte die Familie auch als "Kampfeinheit" bezeichnen, sofern man das
Leben als "Kampf" betrachten will.
Die "Initiative Hauskirche" weckt und stärkt Initiativen der
Ehepaare, sie macht die mit einer christlichen Familie verbundenen Aufgaben
bewusst, versucht Anregungen für die Gestaltung der Familie im Alltag, im
Jahresablauf, in Arbeit und Freizeit zu vermitteln. Sie zeigt Hilfen auf wie
Gebet, Empfang der Sakramente; sie entwickelt geeignete Materialien wie z.B.
die Buchserie "Glaube und Leben" oder die Mappe für
Familien-Hauskreise. Sie entwickelt Gedanken über Familienkultur, Konfliktbewältigung,
Erziehungsfragen. Nicht zuletzt führt die "Initiative Hauskirche"
auch zur Vernetzung der christlichen Familien untereinander, was – wie gesagt -
gerade in einer weitgehend nichtchristlichen oder entchristlichten
Gesellschaft von großer Bedeutung ist.
Die
"Initiative Hauskirche" will nicht eine Bewegung im engen Sinn sein,
das heißt, nicht eine besondere Gruppe in der Kirche oder in der Gesellschaft,
sie hat jedenfalls bis jetzt keinerlei Vereinsstruktur. Sie versteht sich
vielmehr als Pilotprojekt für die Kirche, die sich in vielen Ländern derzeit in
einem starken Umbruch befindet. Die Volkskirche ist dabei, sich aufzulösen oder
existiert bereits nicht mehr. Die territoriale Seelsorge bedarf der Ergänzung
durch überpfarrliche Angebote.
Meines Erachtens wird die Pfarre der Zukunft oder die Seelsorge in einer Region
vor allem die Aufgabe haben, einerseits die Gläubigen in Christus zu sammeln
und andererseits ihre Eigenständigkeit und Initiative zu fördern. Der Familie
kommt dabei eine wichtige Bedeutung zu.
Die christliche Familie ist außerdem die wichtigste "Quelle" der
"Berufungen" in der Kirche. Sie vermittelt den wesentlichsten Teil
der Ehevorbereitung, die eigentlich schon beim Kleinkind beginnen muss. Wenn
nicht schon im kindlichen Alter und in der Jugend im Rahmen der Familie das
Verantwortungsbewusstsein, die Fähigkeit, sich für andere einzusetzen, auch die
Konfliktfähigkeit gepflegt und entfaltet wurden, - fehlen weitgehend die
Voraussetzungen zur Ehe und zu Familiengründung, es können sich aber auch nur
schwer geistliche Berufe entwickeln.
In
der "Initiative Hauskirche" haben viele Platz:
auch
Alleinerzieher mit ihrer Sorge um die Kinder und ihren spezifischen Nöten;
Menschen, die im Glauben allein sind (auch innerhalb der Familie), Verlobte und
solche, die es werden wollen. Auch wiederverheiratete Geschiedene, wenn sie den
Wunsch nach einem christlichen Leben haben, können gerne mittun.
Für
die Entwicklung gesunder Persönlichkeiten sind, das wissen wir heute auf Grund
der psychologischen Studien besser denn je, Vater und Mutter, ihr
(unterschiedliches) Vorbild, ihre (unterschiedliche) Zuwendung, ganz besonders
in den ersten Lebensjahren, von größter Bedeutung. Das Kind braucht die Mutter
und den Vater. Keine noch so professionell geführte Einrichtung kann die Eltern
ganz ersetzen. Es sind immer nur Ersatzlösungen.
Kinder brauchen Geschwister. Die kinderreiche Familie bietet in der Regel für
die Entwicklung von Fähigkeiten zu Solidarität, Verantwortung, Verlässlichkeit,
Anpassung, auch Konfliktbewältigung die besseren Voraussetzungen als die
Klein-Familie. Ich sage manchmal, dass die Familie (die Liebe zueinander
vorausgesetzt) eine hervorragende "Trainingseinheit" für den
Christen, für den Menschen darstellt.
Auch für die Eltern sind die Kinder wichtig.
Ich denke manchmal an ein Wort, das ich bei mehreren Gelegenheiten vom Gründer
des Opus Dei, dem hl. Josefmaría
Escrivá gehört habe. Er sagte manchmal zu Ehepaaren:
Gott hat euch ein großes Herz für mehrere Kinder gegeben. Er ermutigte zu
Großzügigkeit. Manchmal fügte er hinzu, dass es weder für das Kind noch für die
Eltern gut sei, wenn die "ganze" Liebe ihres an sich großen Herzens
auf nur ein Kind konzentriert wird.
Eltern reifen mit ihren Kindern und deren Problemen und Schwierigkeiten.
Außerdem ist die Bemühung um das Lebendighalten der
Hingabe an den Partner, die Überwindung von Krisen, die Anstrengung, ein
Familienleben so zu gestalten, dass die Familie zu einem Hort des Friedens und
der Freude ist, eine Quelle des dauerhaften Glücks, das wohl auch deshalb so
kostbar und der Mühe wert ist, weil es viel kostet und auch Mühe voraussetzt.
Es
besteht auch bei den jungen Leuten die große Sehnsucht nach Gelingen der
Beziehung, nach glücklicher Familie. Die Familie auf der Grundlage einer
sakramentalen Ehe verbunden mit entsprechender persönlicher Bemühung hat die
besten Chancen zu gelingen. Die Verbreitung solcher Familien ist zu einem guten
Teil Grundlage für ein Europa mit Zukunft, zugleich auch für eine lebendige
Kirche. Die "Initiative Hauskirche" könnte – so hoffe ich – einen
Beitrag dazu leisten. Ich wünsche uns von Herzen, dass wir diese Tage des Symposiums
gut nützen, um innezuhalten, neue Pläne zu entwickeln und zu erreichen, dass
die Grundlage dieser "Bewegung" gefestigt und erweitert wird.
Es
besteht auch bei den jungen Leuten die große Sehnsucht nach Gelingen der
Beziehung, nach glücklicher Familie.