Ohne Familie ist kein Staat zu machen

Einige Überlegungen zum zehnten Jubiläum des Internationalen Jahres der Familie („IYF+10“), Klagenfurt, 6. November 2004

Eure Exzellenz! Hochwürdigster Herr Diözesanbischof!
Hohe Geistlichkeit!
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Freunde!

Sehr herzlich danke ich für die Einladung, am Tag der Hauskirche hier in Klagenfurt zu ihnen zu sprechen.
Mit Freude erinnere ich mich an eine ganze Reihe von familienbezogenen Veranstaltungen (wie etwa an mehrere Familienkongresse) in Kärnten, an denen ich mitwirken durfte, und bei denen stets die Vorreiterrolle der Kirche in Familienfragen zum Ausdruck kam.
Ich komme aus Wien, wo ich seit bald zehn Jahren das von der Österreichischen Bischofskonferenz gegründete Institut für Ehe und Familie leiten darf. Unsere Einrichtung steht an der Schnittstelle zwischen wissenschaftlicher Familienforschung einerseits und praktischer Familienarbeit in Pastoral und Politik andererseits. Zu unserer Arbeit gehören – neben der Geschäftsführung der Familienkommission der Österreichischen Bischofskonferenz samt ihren Arbeitsgruppen, der Förderung von Beratung und Natürlicher Familienplanung (NFP) - auch Projekte im Auftrag und mit finanzieller Unterstützung des für Familienpolitik zuständigen Bundesministeriums für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz. Eine Studie über die „Männerarbeit in Österreich“ steht kurz vor ihrer öffentlichen Präsentation am Dienstag, dem 23. November, um 18.00 Uhr, in Wien. Dazu lade ich Sie alle herzliche ein! Und unter anderem haben wir heuer zehn Facharbeitskreise mit über fünfhundert Mitwirkenden anlässlich des zehnten Jubiläums des Internationalen Jahres der Familie koordiniert und konnten die Zusammenfassung der Ergebnisse erstellen.

Internationale Familienpolitik

Gestatten Sie mir, angelegentlich des Internationalen Jahres der Familie einen kurzen Blick auf die internationale Familienpolitik zuwerfen: gebührt den Vereinten Nationen das Verdienst, mit der Proklamation des IYF (1994 erfolgte dies übrigens auf Initiative von Polen, Malta und Österreich) einen Beitrag zur Bewusstseinsbildung zu leisten, so bedarf es in der internationalen Politik eines ständigen „Lobbyings“ von Regierungen und NGOs, um die Anliegen der Familie und des Lebensschutzes nicht zu kurz kommen zu lassen. Als Katholiken treten wir - gemeinsam mit vielen anderen - für eine umfassende „Kultur des Lebens“ ein. Oft kommt es – auf internationalen Konferenzen und in internationalen Dokumenten – aber zu massiven Widersprüchen dazu und Zielkonflikte sind die Folge. Auch die Europäische Union ist hinsichtlich ihrer Politik bezüglich der Familien durchaus kritisch zu sehen. Es besteht keine direkte Zuständigkeit der EU-Instanzen für Familienpolitik, die nach wie vor in der Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten liegt. Sehr wohl betreffen aber viele Regelungen der EU – direkt und indirekt – die Situation der Familien. Ganz zu Recht fordert eine Vorlage des Sekretariates der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft (COMECE) die EU auf, in ihrer Politik den Familien einen höheren Stellenwert einzuräumen und die EU bis 2010 zur familienfreundlichsten Region der Welt weiterzuentwickeln. Dazu gehören sowohl die Förderung stabiler Familien wie die Hilfe für Paare, ihren Kinderwunsch zu erfüllen.

Ich lade Sie nun ein, mit mir einen Blick auf die gegenwärtige und zukünftige Situation der Familien in Österreich zu werfen.

Die demographische Ausgangslage

Die aktuelle Situation der Familien in Österreich – und die Zeit seit dem IYF 1994 – ist stärker als je zuvor durch die demographische Entwicklung geprägt. Einerseits ist ein historisch einmaliger Geburtenrückgang zu verzeichnen, andererseits steigt die Lebenserwartung nach wie vor an. Die Wirksamkeit des Generationenvertrages ist dadurch gefährdet. Es gibt auch keine Modelle für eine schrumpfende Wirtschaft.
Nur langsam setzt sich die Einsicht durch, dass die Geburtenrate zu niedrig ist. Eine Änderung des generativen Verhaltens (nur) zu fordern, erscheint mir persönlich als ungünstig – leistet man doch Kritikern Vorschub, welche argwöhnen, es ginge dabei um eine Fortsetzung der Bevölkerungspolitik nach dem Vorbild der NS- oder DDR-Diktatur. Ziel einer derartigen Bevölkerungspolitik ist die Beeinflussung des generativen Verhaltens durch einzelne politische Maßnahmen. Im Gegensatz dazu soll eine (auch) „Bevölkerungsbewusste Familienpolitik“ formuliert werden, die durch abgestimmte Maßnahmenbündel Rahmenbedingungen gestaltet, unter denen die Realisierung des Kinderwunsches tatsächlich ermöglicht wird. Viel wäre in demographischer Hinsicht bereits erreicht, könnte die Kluft zwischen der gewünschten (ca. 2,02) und tatsächlich realisierten Kinderzahl (1,32) verringert werden. Zukünftig wird es nicht möglich sein, familienpolitische Maßnahmen ohne Bezug zur demographischen Entwicklung zu konzipieren.

Zukunftssicherung für alle durch Humanvermögensförderung

Das Ziel einer (auch) „bevölkerungsbewußten Familienpolitik“ erfordert – neben einer durch Bewusstseinsbildung zu erzielenden Einsicht aller familienpolitischen Akteure – neue Konzepte der Familienpolitik. Zu begründen ist eine tatsächlich „neue Familienpolitik“ durch eine qualitativ neue Bezugnahme auf das Humanvermögen: Humanvermögen wird dabei verstanden als die Summe der von einer Generation an die nächste vermittelten Haltungen, Einstellungen, Werte, Fähigkeiten usw. Das setzt jedoch voraus, dass es tatsächlich Nachkommenschaft gibt, welche die Verkörperung des Humanvermögens darstellt. Und dieses Humanvermögen entsteht durch und in Familien mit Kindern – und sonst nirgendwo. So wird Familienpolitik im Sinne von Humanvermögenspolitik bzw. –förderung als zentrale politische Zukunftsaufgabe neu begründet. Die Ausgaben (Kosten) für diese Zukunftspolitik im Interesse aller sind nicht Belastungen, sondern Investitionen in die Zukunft (auch der Kinderlosen!)

Die Ehe – nach wie vor wesentliche Grundlage der Familie

Nach dem „Population Policy Acceptance Survey II“ des Instituts für Demographie der Österreichischen Akademie für Wissenschaften halten 64 % der befragten Österreicherinnen und Österreicher die Ehe keineswegs für eine überholte Institution. Dies zeigt – wie alle Ergebnisse der Werteforschung – eine konstant hohe Wertschätzung von Ehe und der darauf begründeten Familie. Auch im Jahre 2000 lebten 73,6 % aller Kinder bei ihren verheirateten Eltern. Diese Lebensform ist mangels Alternativen und wegen ihrer „Leistungsfähigkeit“ (im Sinne von Personalität, Subsidiarität und Solidarität sowie durch die bereits erwähnte „Produktion“ von Humanvermögen im Interesse Aller!) für die Gesellschaft unersetzlich. Eine Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit von auf Ehe begründeten Familien durch die Gesellschaft bzw. die Politik bedeutet keine spezifische Förderung, sondern ist ein Gebot der Gerechtigkeit. Dankenswerterweise haben die beide österreichischen Regierungsparteien vor kurzem ihre Präferenz für die Ehe und die darauf basierte Familie zum Ausdruck gebracht und Bestrebungen nach einer „Gleichstellung“ gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, der Einräumung von Adoptionsrechten für diese und einer möglichen „Registrierung“ derselben eine klare Absage erteilt – wenn auch eine von manchen angestrebte rechtliche Gleichstellung aller Lebensgemeinschaften – zu Recht! - kirchliche Kritik hervorgerufen hat.

Keineswegs darf der Umstand, Familie zu leben und Kinder zu haben, zu einer Benachteiligung bzw. Diskriminierung führen, wie es derzeit in wirtschaftlicher Hinsicht der Fall ist. Die Ungerechtigkeit der derzeitigen Situation, die es manchmal nahe legt, auf eine Eheschließung zu verzichten, um finanzielle Nachteile zu vermeiden, ist unerträglich. Zukünftige Familienpolitik braucht immer eine materielle und eine immaterielle (= ideelle) Komponente. Zu letzterer gehört das Eintreten für das normative Leitbild einer auf Ehe gegründeten Familie. Dieses von der Politik einzumahnen ist eine ständige Herausforderung für unsere kirchliche Familienarbeit! Für den kirchlichen „Binnenbereich“ bedeutet das, die ehebezogenen Dienste und Angebote (wie z. B. Ehevorbereitung) vor allem in qualitativer Hinsicht auszugestalten und auch die dafür erforderlichen Mittel zur Verfügung zu stellen, damit das Eintreten für die hohen Ziele von Ehe und Familie auch tatsächlich wirksam werden kann.

„Integrierte Familienpolitik“

Auf der Ebene der Zielen und Maßnahmen ist mittel- bis langfristig eine neue Verständigung über Kompetenzen und Aufgaben der einzelnen Ebenen der Familienpolitik (Gemeinde, Region, Land und Bund) erforderlich – eine Herausforderung auch an den derzeit arbeitenden Österreich-Konvent, der eine neue Verfassung für unser Land erarbeiten soll. Durch das Erstarken der Zivilgesellschaft wird diese immer stärker zum Partner des Staates bei der Umsetzung familienpolitischer Maßnahmen wird (z. B. in der Ehe-, Familien- und Lebensberatung).

Betroffene zu Akteuren machen

Mit einer solchen neuen „integrierten“ (weil in ihren Grundlagen, Zielen, Inhalten und Maßnahmen aufeinander abgestimmten) und konsistenten (das heißt in sich widerspruchsfreien) Familienpolitik kann und soll auch eine neue Rolle der Familie gefördert werden: Familien können und sollen von Betroffenen zu Protagonisten gesellschaftlicher Veränderungsprozesse werden. Familie kann und soll als ‚Motor’ einer Sozialreform wirksam werden! Daß Familien nicht „Objekte“, sondern auch „Subjekte“ sind, gilt nicht nur für die Familienpastoral (wo stets an elterliche Verantwortung bei der Weitergabe des Glaubens erinnert wird), sondern auch für die Sphäre des Gesellschaftlich-Politischen. Hier ist über das individuelle Tätig-werden das „Handeln im Verbund“, also in Verbänden, Vereinen und Parteien gefragt!

Zusammenfassend kann man sagen: im Sinne des „zivil-“ oder „bürgergesellschaftlichen Engagements“ und einer Familienpolitik, die sich auch als „Gesellschaftsordnungspolitik“ versteht, sollen Betroffene verstärkt ihre Anliegen zur Sprache bringen, Defizite und Erfordernisse artikulieren sowie Veränderungsprozesse in Gang setzen. Ein spezifischer Schritt in diese Richtung wurde in jüngster Zeit durch die Gründung des Vereins „KInderReich“ gesetzt, der gestern im niederösterreichischen Krems mit einer „Auftaktveranstaltung“ in die Öffentlichkeit getreten ist.

Eine „Allianz für die Familie“

Zur Bewusstseinsbildung und ideellen Unterstützung sollte so bald wie möglich österreich-weit – unter Einbeziehung höchster Repräsentanten aus Politik, Wirtschaft und Kultur - die Gründung einer „Allianz für die Familie“ angestrebt werden, die – analog zur „Allianz für den Sonntag“ - gleichsam symbolisch-propagandistisch für die Familienanliegen eintritt.
Mit dem Familienkongreß „Familie gestern-heute-morgen“ und der Gründung des „Bündnis(ses) mehr Familie“, also einer Allianz auf Landesebene in Kärnten, wurde am 9. Juli 2004 bereits ein erster Schritt in diese Richtung gesetzt. Nunmehr kommt es darauf an, diese organisatorische „Hülle“ mit Ideen und Projekten zu füllen: eine große und großartige Herausforderung für die kirchliche Familienarbeit in Pastoral und Politik hierzulande! Ich darf nachdrücklich an die zuständigen Verantwortungsträger der kirchlichen Familienarbeit appellieren: nützen Sie diese Gelegenheit. Unser Institut wird Sie dabei gerne im Rahmen seiner Möglichkeiten unterstützen.

Lokale Bündnisse für die Familie

Will eine „Allianz für die Familie“ und das „Bündnis mehr Familie“ sozusagen die „gesellschaftliche Großwetterlage“ beeinflussen, so sollen bestehende familiennahe Dienste, Einrichtungen, Initiativen usw. unter Bedachtnahme auf die Interessen und unter Einbeziehung der Betroffenen neu zu koordiniert und „vernetzt“ werden. Vorerst auf lokaler und regionaler Ebene wird das Entstehen von örtlichen „Bündnissen für Familien“ gefördert werden.
Die Bundesebene hat dabei vor allem Information, Bewusstseinsbildung, einheitliche Standards (inklusive Qualitätssicherung) und „PR-Arbeit“ zu leisten, die Landesebene hat für Koordination der Gemeinden und entsprechende Aus- und –weiterbildung zu sorgen.
Auf örtlicher bzw. regionaler Ebene könnten die bestehenden Ehe- Familien- und Lebensberatungsstellen als weiterentwickelte „multifunktionelle Zentren“ quasi Knoten im entstehenden Netzwerk werden, wobei die Integration bereits bestehender Dienstangebote (wie Beratung, Elternbildung, Familienmediation, Kinderbegleitung, Männerarbeit usw.) Priorität hätte.
Über die Integration bestehender Initiativen (Familienorganisationen, Elternvereine, Eltern-Kindzentren) könnten beträchtliche Synergieeffekte durch die Einbindung von Unternehmern, Sozialpartnern erzielt werden. Ist es eine Utopie, daß sich unsere Pfarren mit ihrem diözesan-, landes- und bundesweiten „Netz“ als Katalysatoren und Knoten in ein solches Netzwerk lokaler Bündnisse für Familien einbringen? Durch den Dienst und das Zeugnis der Christen und der Kirche wird ein solches Netzwerk erst inhaltliches Profil und eine klare Ausrichtung im Dienste aller Familien erhalten.

Zusammenfassung

Das IYF bietet einen Anlaß, den Stellenwert der Familie in Kirche und Gesellschaft neu zu bedenken. Die Entscheidung zur Eheschließung und das Ja zum Kind sind nicht mehr so selbstverständlich wie noch vor ein oder zwei Generationen. Die Kirche, ihre Mitglieder und ihre Einrichtungen sind durch die neue Situation herausgefordert, Zeugnis vom geglückten Leben in Ehe und Familie zu geben und Dienste zur Erreichung unserer hohen Ideale anzubieten. Dabei wird die Kirche auch nicht vergessen, daran zu erinnern, daß ohne Familien auch „kein Staat zu machen“ ist. Das gemeinsame Tun und der Austausch untereinander sowie das gemeinsame Bedenken dieses Anliegens stehen im Sinne der nicht nur exklusiv für den Ordenschristen gültigen Devise „ora et labora“ als „Dauerauftrag“ und Herausforderung vor uns.


Literaturhinweise:

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Wingen, M. (2001): Familienpolitische Denkanstösse. Sieben Abhandlungen, Grafschaft
Wingen, M. (2003): Bevölkerungsbewusste Familienpolitik – Grundlagen, Möglichkeiten und Grenzen, Wien


Günter Danhel, DSA
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