Von
DDDr. Peter Egger, Brixen
Das zehnte Gebot
wendet sich gegen die Habsucht und den Neid und fördert damit in
entscheidender Weise den sozialen Frieden. Das zehnte Gebot steht in
einem direkten Bezug zum siebten Gebot: Es betrifft die inneren Fehlhaltungen
gegenüber dem Eigentum und soll dazu führen, dass es nicht zu falschen
Handlungen im Sinne des siebten Gebots kommt. Die Beachtung des neunten Gebots
gerade in unserer materialistischen Gesellschaft von größter Bedeutung.
Das zehnte Gebot
bezieht sich zunächst auf die ungeordneten Begierden gegenüber materiellen
Dingen. Diese Begierden können das Essen und Trinken
betreffen, sie können sich aber auch auf Geld, Häuser und Besitz
beziehen. Wenn diese leiblichen und materiellen Güter unser ganzes Streben
erfüllen, dann riskieren wir dabei, dass unser Menschsein nur noch aus Haben
besteht. Wir vergessen dann oftmals, dass der Sinn unseres Lebens nicht im
Haben, sondern in der Vollendung unseres Seins besteht. Dieser ungezügelte
Drang nach dem Haben kann sogar so weit gehen, dass wir dabei unsere Seele
und unser ewiges Heil vergessen. Für uns gelten dann die eindringlichen
Worte Jesu: "Was nützt es einem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt,
dabei aber sich selbst verliert und Schaden nimmt?" (Lk 9,25)
Das zehnte Gebot
wendet sich vor allem gegen die Habgier auf Kosten der Mitmenschen. Wenn ein Kaufmann
danach trachtet, einem Kunden mehr Geld abzuknöpfen, als die Ware tatsächlich
wert ist, dann sündigt er durch Habgier. Wenn ein Vermieter sich dazu
entschließt, einem Arbeiter aus der Dritten Welt eine hohe Miete abzuverlangen,
dann nützt er die Notsituation dieses Menschen aus. Wenn ein Zahnarzt
eine Behandlung empfiehlt, die es eigentlich nicht bräuchte, dann handelt er
aus Habgier. Wenn ein Handwerker mehr Kosten veranschlagt, als dann
nötig sind, will er den Kunden ausnehmen. Es gibt sogar Menschen, die
regelrecht mit Notsituationen spekulieren, um mehr Gewinn einzuheimsen:
Ein Kaufmann hortet die Ware, um sie in Notzeiten teurer zu verkaufen;
ein Automechaniker freut sich über den Neuschnee, weil es dadurch mehr
Unfälle gibt; ein Polizist begibt sich an neuralgische Verkehrspunkte,
weil er dort mehr Strafzettel verteilen kann; eine Polizeistreife
postiert ihr Radar-Gerät an einer pfeilgeraden Strecke, damit mehr Autos in die
Radar-Falle gehen; der Rechtsanwalt freut sich über die vielen
Scheidungen, weil er dadurch eine Unmenge Geld verdient. Eine solche
Einstellung widerspricht aber völlig der Nächstenliebe.
Das zehnte Gebot
warnt uns auch vor dem Neid auf die Güter unserer Mitmenschen. Bei
diesen Gütern handelt es sich meistens um die materiellen Güter von Leuten aus
unserem Bekanntenkreis: Der eine ist neidisch, weil sich der Nachbar schon
wieder ein neues Auto leisten kann; der andere ist neidisch auf die Villa
seines Kollegen und ärgert sich, dass dieser sich jetzt sogar ein Reitpferd
gekauft hat. Eine junge Dame ist richtig giftig, weil ihre Kollegin im Büro
schon wieder ein neues Kleid aus der Boutique hat. Der Oberzuber hört
mit Neid, wie der Unterzuber von seiner Reise auf die Seychellen
berichtet. Die Leute im grünen Wohnblock wurmt es, dass ihre Nachbarn im roten
Wohnblock schon wieder neue Möbel gekauft haben.
Der Neid kann sich
auch auf die persönlichen Güter unserer Mitmenschen beziehen. Ein junger Mann
beneidet seinen Bekannten, der mit seiner großen Intelligenz das Studium
spielerisch bewältigt. Ein Handwerker ist neidisch auf die große manuelle
Geschicklichkeit eines Konkurrenten, die ihm ein gutes berufliches
Fortkommen sichert. Eine junge Dame ist neidisch auf die künstlerischen
Fähigkeiten ihrer Kollegin, die dadurch interessante Aufträge erhält. Eine
Basketballspielerin ist voll Neid auf die außergewöhnliche sportliche
Begabung ihrer Kameradin, die nun eine Berufung in die Nationalmannschaft
erhalten hat. Und schließlich ist es für eine junge Dame unerträglich, dass
ihre Mitarbeiterin außerordentlich hübsch ist und damit alle
Männerblicke auf sich zieht.
Der Neid kann sich
schließlich auch auf soziale Güter beziehen. Ein "Adabei" beneidet
einen Mitmenschen, der in der Gesellschaft hohes Ansehen genießt: Er
erlebt, wie der andere im Mittelpunkt des Interesses steht und von allen geehrt
wird. Ein kleiner Gemeinderat ist voll Neid gegenüber einem
Nationalratsabgeordneten, der eine hohe Machtposition bekleidet: Er
beobachtet, wie diese Politiker von allen hofiert wird und wie sich ihm
sämtliche Türen öffnen. Ein Wirtschaftsmanager empfindet einen grimmigen Neid
gegenüber einem Kollegen, der mehr Erfolg hat als er: Dieser Kollege hat
Karriere gemacht und ist zum Spitzenmanager eines großen Konzerns
aufgestiegen...
Wir können heute ohne Übertreibung feststellen, dass in allen Bereichen des
Lebens und der Gesellschaft ein ungeheurer Neid vorherrscht. Ein kritischer
Zeitgenosse hat sehr treffend bemerkt, dass wir heute in einer regelrechten
"Neidgesellschaft" leben.
Wir wollen uns nun
fragen, welche Folgen der Neid hat. Der Neid führt zunächst zu einer inneren Unzufriedenheit.
Wenn wir anderen Menschen gegenüber ständig Neid empfinden, gewinnen wir immer
mehr den Eindruck, dass wir selbst zu kurz gekommen sind. Wir haben dann oft
das Gefühl, dass wir nur Menschen zweiter Klasse sind. Wir fühlen uns vom
Schicksal benachteiligt, weil wir bei diesem Lebensstil nicht mithalten können.
Der Neid bewirkt, dass wir uns trotz des üppigen Wohlstands, in dem wir alle
leben, als arme Schlucker fühlen. Manche von uns blendet der Neid so sehr, dass
sie die vielen Dinge, die sie besitzen, nicht mehr sehen. Sie werden unfähig,
sich an dem, was sie haben, zu freuen. Sie sehen nur, was sie nicht haben. Auf
diese Menschen trifft das Wort des Alten Testaments zu: "Neid und Ärger
verkürzen das Leben, Kummer macht vorzeitig alt." (Sir 30,24) Der Neid
führt aber auch zu einem heimlichen Groll und Hass auf jene
Menschen, denen es besser geht als uns. Wir haben oft sogar den Eindruck, dass
es ungerecht sei, wenn es anderen Menschen gut geht. Nach unserem Dafürhalten
haben es sich manche Leute gar nicht verdient, dass sie so hinaufgehoben
werden. Im Grunde genommen hätten wir es viel eher verdient, gewisse Positionen
und Auszeichnungen zu erhalten. Durch diesen inneren Groll und Hass kommt es
unweigerlich zu gestörten Beziehungen zu unseren Mitmenschen. Der Neid
verleitet uns dazu, die anderen unfreundlich und unwirsch zu behandeln. Nicht
selten sagen wir ihnen Gemeinheiten ins Gesicht, um unseren Frust loszuwerden.
Oft kommt es auch zu einer völligen "Funkstille" gegenüber den
engsten Kollegen und Mitarbeitern. Manchmal brechen wir auch den Kontakt zu
unseren Nachbarn ab und grüßen sie nicht mehr. Auf diese Weise führt der Neid
oft zu großen sozialen Spannungen und Konflikten. Das traurige Ergebnis des
Neids ist schließlich der Verlust des sozialen Friedens.
Angesichts dieser
schwerwiegenden Auswirkungen des Neids sollte uns klar sein, dass wir alles
daransetzen müssen, um den Neid zu überwinden. Wir wollen deshalb überlegen,
wie wir mit dem Neid fertig werden können.
Ein erster Schritt zur Überwindung des Neids besteht darin, dass wir uns um
echte Großmütigkeit gegenüber unseren Menschen bemühen. Wir sollten
imstande sein, uns darüber zu freuen, wenn sich der andere ein neues Auto oder
eine neue Wohnung leisten kann. Wir sollten es dem anderen von Herzen gönnen,
dass er eine hohe Position erreicht hat. Es sollte uns froh und dankbar
stimmen, dass es in unserer Gesellschaft Menschen mit außergewöhnlichen
Begabungen gibt. Es sollte für uns auch selbstverständlich sein, dass wir einem
sportlichen Gegner in fairer Weise zu seinem Sieg gratulieren.
Eine weitere Maßnahme gegen den Neid wäre auch ein bescheidenes Verhalten,
wenn wir uns gewisse Güter zulegen oder bestimmte Auszeichnungen erhalten. Wir
sollten uns darum bemühen, die neu erworbenen Güter nicht in protziger Weise
zur Schau stellen. Ebenso sollten wir auch nicht mit unseren Beförderungen und
Auszeichnungen angeben. Wir dürfen auch niemals den anderen spüren lassen, dass
wir ihm auf bestimmten Gebieten überlegen sind. Es wäre klug, wenn wir unseren
Mitmenschen nach Möglichkeit unsere Güter und Mittel, aber auch unsere
Begabungen und Fähigkeiten zur Verfügung stellen würden. Wir sollten es so
einrichten, dass sich die anderen an unseren Gütern mitfreuen und aus unseren
Gütern Nutzen ziehen können. Auf diese Weise würden wir dem Neid von vornherein
keine Chance geben.
Eine heilsame Maßnahme gegen den Neid wäre schließlich die Erkenntnis, dass
nicht alles Gold ist, was glänzt. Wir sollten uns vor Augen halten, dass
viele dieser Leute, die mit ihren materiellen Gütern angeben, riesige Schulden
haben. Viele dieser Großtuer übernehmen sich und sind früher oder später
bankrott. Die Klugheit sollte uns erkennen lassen, dass es besser ist, nicht
über die eigenen Verhältnisse zu leben, sondern nur das zu kaufen, was wir uns
wirklich leisten können. Wir sollten uns weiters vor Augen halten, dass
materielle Güter noch lange keine Garantie für das Glück sind. Was nützt die
schönste Villa, wenn die Ehe kaputt ist?! Was bedeutet ein florierendes
Geschäft, wenn der Sohn in der Drogenszene landet?! Was bringen die schönsten
Kleider und der teuerste Schmuck, wenn jemand unheilbar krank ist?! Hinter der
glitzernden Fassade des Reichtums verbirgt sich oft manches Elend. Ja, wir
können fast behaupten, dass durch den materiellen Reichtum erst manche Probleme
geschaffen werden, die es sonst gar nicht gäbe. Wer die Probleme der Reichen
näher kennen gelernt hat, weiß, dass der Reichtum oft auch seine Schattenseiten
hat. In diesem Sinn ist das zehnte Gebot auch eine Mahnung, die uns hilft,
unser irdisches und ewiges Glück leichter zu finden.
ZEHNTES GEBOT: DU
SOLLST NICHT BEGEHREN DEINES NÄCHSTEN GUT!
1) Materielle
Begierden
2) Habgierige Spekulationen
3) Materielle Güter
4) Persönliche Güter
5) Soziale Güter
6) Die Folgen des Neids
7) Die Überwindung des Neids