Mag. Susanne Kummer
Frau
Mag. Susanne Kummer referierte am 14. April am Sonntagberg im Rahmen der Tagung
"Kinder sind ein Segen" zum Thema "Gender Mainstreaming". Frau
Mag. Kummer hat uns drei Artikel, die sie in der Tagespost veröffentlichte zur
Verfügung gestellt.
·
Muttertag,
ein verdächtiger Tag für Gender-Ideologen
- Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik www.imabe.org,
Tagespost,
März 2003, von Susanne Kummer
Am
8. März ist es wieder einmal soweit. Der Internationaler Frauentag ist
angesagt. Seit 1910 wird er begangen, seit 1921 zu diesem Datum abgehalten.
Wohlverdiente Errungenschaften für Frauen werden gefeiert, andere lassen bis
heute auf sich warten. Das Wort "Frauenrechtlerin" ist trotzdem
längst passé. Heute "gendert" es dafür allerorts. Statt von
Frauenrechten spricht man von Geschlechterrollen. Das Wort
"geschlechtsspezifisch" tritt in allen nur möglichen Kombinationen
auf: Interessen sind geschlechtsspezifisch, Unterschiede, Diskriminierung,
Ungleichheiten, Teilungen und Rollen. Von Frausein ist hingegen kaum die Rede. Statt
von Mutterschaft spricht man von den "reproduktiven und sexuellen
Rechten". Ist es etwa das, was sich jene, die sich für Anerkennung und
Gleichberechtigung der Frauen einsetzen, gewünscht haben? Oder sind die
eigentlichen Rechte der Frau in der Gender-Debatte auf der Strecke geblieben?
Viele bezweifeln, dass die Rede von den Geschlechterrollen, wie sie durch das
Gender-Denken in Politik, Bildung und Kultur verankert (mainstreaming) wird,
einfach eine Weiterentwicklung der alten Frauenfrage ist. Bei Gender geht es
weniger um Rechte der Frauen als um ein neues Menschenbild, in dem
"natürliche" Vorgaben wie das biologische Geschlecht in Frage
gestellt und durch beliebige "Konstrukte" ersetzt werden sollen.
Radikalvertreter der Gender-Ideologie wollen mittlerweile bis zu fünf
Geschlechter verankert wissen, die jeder unabhängig von seine Biologie wählen
kann (seit der Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 genannt die "freie Wahl
der sexuellen Ausrichtung"). Wenn das Geschlecht bloß soziales Konstrukt
ist, läßt sich ja nie eindeutig feststellen, ob bei jemand, der zwar außen wie
eine Frau aussieht, nicht in Wirklichkeit ein Mann drinnen sitzt, der sich von
diesem oder jenem Geschlecht angezogen fühlt. Die Ab-norm, der pathologische
Einzelfall, bei dem biologisches und soziales Geschlecht auseinandergehen, wird
zur Norm erklärt. Nichts ist Natur, alles Konstrukt und kann dementsprechend
de-konstruiert werden.
Der
aus dem Englischen stammende Begriff gender war das geeignete Vehikel, um nach
und nach Gedankengut radikaler Feministensplittergruppen, mit der Sprache der
Menschenrechte bemäntelt, weltweit salonfähig zu machen. Die Gender-Theorien
gewannen im Laufe der Jahre an Schärfe.
Begonnen hatte es Mitte der Siebzigerjahre. Damals tauchte die Bezeichnung für
das grammatikalische Geschlecht (engl. gender im Gegensatz zum biologischen
Geschlecht, engl. sex) erstmals in Zusammenhang mit der Frage auf, was am
Geschlecht nun natürlich und was bloß anerzogenes Rollenverhalten ist. Den
internationalen Durchbruch schaffte das Gender-Konzept auf der
Weltfrauenkonferenz in Peking. Die Debatten im Vorfeld zwischen Feministinnen
und Pro-Familien-NGO's verdeutlichten die weltanschaulichen Gräben.
Das
Geschlecht, so hieß es bei den Feministinnen, sei keine Eigenschaft von
Personen, Körpern oder Körperteilen, sondern eine „kulturelle Konstruktion“,
ein „selbst produziertes Phänomen“, das erst durch Eingewöhnung und
Wiederholung als Wirklichkeit gestiftet wird.
Ein
Gedanke, der von Bella Abzug vertreten wurde und den Judith Butler später
theoretisch weiterentwickelte. Butler ist übrigens Mitglied des Vorstandes der
International Gay and Lesbian Human Rights Commission, einer akkreditierten NGO
der Vereinten Nationen. Wohl kein Zufall.
Erwartungsgemäß formierte sich im Vorfeld der Weltfrauenkonferenz 1995
Widerstand gegen diese willkürliche Definition von "Geschlecht". Die
„Pro-Familie“ NGOs waren über mehrere Abschnitte des Entwurfs der von der WEDO
(Women’s Environmental and Development) eingereichten Tagesordnung beunruhigt.
Zur WEDO Koalition gehörten Feministinnen-Gruppen,
Bevölkerungskontrollorganisationen und Umweltgruppen. Ihr Hauptanliegen war es,
die Anerkennung der „reproduktiven und sexuellen Rechte“ zu erreichen, worunter
auch die Abtreibung auf Wunsch und die sexuelle Freiheit für minderjährige
Mädchen ohne Wissen der Eltern oder deren Erlaubnis zu verstehen war. Auch das
völlige Fehlen von positiver Bezugnahmen auf Heirat, Mutterschaft und Familie
war auffällig. Ein Repräsentant bemerkte, dass auf die Familie nur einmal Bezug
genommen wurde, und zwar als Abwandlung der Familienplanung. Dale O'Leary wies
in ihrem Buch "The Gender Agenda" (1997) - eine empfehlenswerte
Retrospektive auf das, was hinter den Kulissen der Weltfrauenkonferenz vor sich
ging - darauf hin, dass im Abschlußdokument der Pekinger Konferenz das Wort
"Gender" rund 200 Mal vorkommt, das Wort Mutter/Vater hingegen
weniger als zehn Mal.
Mehrere Länder brachten ihr Unbehagen über den Ausdruck „gender“ zum Ausdruck
und baten, das Wort im gesamten Text in Klammern zu setzen. Sie waren
beunruhigt, dass das Wort Geschlecht („sex“) in diesem Entwurf durch das Wort
„gender“ ersetzt worden war - ohne ersichtlichen Grund oder Vorteil. Eine
erbetene Klärung, was denn nun eigentlich mit "gender" gemeint sei, löste
unter WEDO-Mitgliedern einen Proteststurm aus. Bella Abzugs regelrechter
Zornausbruch mündete in einer dokumentierten Rede. Den Versuch einiger
Mitgliedstaaten, das Wort „gender“ aus der Aktionsplattform zu streichen und
durch das Wort „Geschlecht“ zu ersetzen, setzte sie mit einem
"beleidigenden und erniedrigenden Versuch" gleich," die von
Frauen gemachten Fortschritte umzukehren, uns einzuschüchtern und den weiteren
Fortschritt zu blockieren... Wir kehren nicht zu untergeordneten, niedrigeren
Rollen zurück." Der eigentliche Hintergrund für WEDO war aber nicht die
Gleichberechtigung, sondern die Durchsetzung der Gleichheit von Frau und Mann.
Dass
nur Frauen schwanger werden und Babys stillen können als Folge eines
unveränderlichen biologisches Unterschieds blieb den Feministinnen ein Dorn im
Auge. Erst, wenn die menschliche Biologie für Null und Nichtig erklärt wird,
sind Frauen von der Bürde der Mutterschaft befreit. Mutter zu sein, sei eine
bloß aufgrund des Geschlechtes zugewiesene Rolle. Da Mann und Frau aber
"gleich" sind und das Geschlecht gewählt werden kann, widerspricht
die Aufteilung der "Rollen" in der Familie dem Gleichheitsgrundsatz.
Kritik an diesem frauen- und familienfeindlichen Konzept kam vor allem aus den
Entwicklungsländern. Sie erhoffen sich bis heute echte Hilfe statt
feministischer Theorien. Die norwegische Politologin Janne Haaland Matlary
kritisierte jüngst, dass gerade Mutterschaft im Rahmen der
"Gender"-Debatte kein Thema ist. Ein „radikaler Feminismus“ wäre, so
Matlary, derjenige, der den Raum für Familie, Mutterschaft und Vaterschaft
berücksichtigt.
Der Widerstand in Peking war zwecklos: Trotz aller Bemühungen, Diskussionen und
Gegen-Entwürfen bekam das Enddokument der Weltfrauenkonferenz unter -höflich
ausgedrückt - Billigung der Vereinten Nationen einen feministischen Stempel
aufgedrückt. Die politische Breitenwirkung blieb nicht aus. Bereits 1998
verpflichtete sich die EU, für die Berücksichtigung der Geschlechterperspektive
(statt Frauenperspektive) auf politischer, kultureller und bildungspolitischer
Ebene zu sorgen. Im Jahr 2000 entstanden auch auf Länderebene eigene
Einrichtungen zur Verankerung der „Gender Perspective“. Seit damals hat das
"Gender"-Denken seinen institutionalisierten, stark von öffentlicher
Hand finanzierten Feldzug angetreten. Ein Ende ist vorerst nicht abzusehen.
Vor wenigen Wochen erst legte das Europaparlament der Europäische Union eine
Entwurf vor, wonach die EU mit über 74 Millionen Euro Projekte zur
Familienplanung und Sexualerziehung in Entwicklungsländern fördern sollte.
Abtreibung inklusive. Zahlreiche Änderungsanträge für den Artikel 2 der
künftigen EU-Verfassung fordern außerdem, dass dort die "Gleichheit der
Geschlechter" verankert wird. Damit würde die de facto Gleichstellung von
Homo-Paaren und Ehen um eine rechtliche Facon reicher. Oder ärmer. Die Förderer
der Gender-Perspektive können darauf beharren, dass die Unterschiede ungerecht
und niederdrückend seien. Für den Durchschnittsmenschen aber ist es schwierig,
die unbestreitbare Tatsache, dass nur Frauen schwanger werden können, nur als
gesellschaftliche Konstruktion anzusehen. Vielleicht sollte sich der nächste
Internationale Frauentag diesem Thema widmen. Rechtzeitig, bevor er in
"Gender-Tag" umgetauft wird.
Tagepost,
April 2003, Von SUSANNE KUMMER
Radikal
feministische Lehren fallen nicht vom Himmel. Jene Parolen, die die
Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 zur Befreiung der Frau ausgerufen hat, sind
in Wirklichkeit ein 120 Jahre alter Hut: die Forderung nach "Gleichheit von
Mann und Frau" genauso wie die "Achtung der reproduktiven Rechte der
Frau" oder das Aufheben von "Geschlechterrollen". Neu allerdings
ist die bemäntelnde Sprache, die schleichende Propaganda und die enormen
Geldmittel, die sowohl Vereinte Nationen als auch Europäische Union zur
Verankerung (Mainstreaming) feministischen Gedankenguts auszugeben bereit sind.
Friedrich Engels hätte sich wohl kaum träumen lassen, dass seine Thesen aus
„Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staates“ aus dem Jahre
1884 bei Gender-Ideologen so Furore machen würden. Ein Zufall, der keiner ist.
Radikaler Feminismus und Marxismus haben sich von Anfang gut verstanden. Im
Marxismus kennt man keine vorgegebene Natur der Frau oder des Mannes, sondern
nur biologisches Material. Dieses lässt sich aber durch die Gesellschaft auf
universale Gleichheit hin formen. Der "klassenlosen Gesellschaft der
Zukunft" entspreche die "geschlechtslose Zukunft unserer
Spezies", schrieb der Marxist Ernest Bornemann im Jahre 1975. Und: Die eine
sei ohne die andere nicht zu erreichen.
Radikalisiert
durch den Marxismus lebt die feministische Revolution vom Traum einer völlig
neuen Gesellschaft ohne soziale Unterschiede, ohne die durch das Geschlecht
zugewiesenen "Rollen", insbesondere die der Mutterschaft. Ob Mutter-
oder Vatersein tatsächlich bloß als "Rolle" definiert werden kann,
wird nicht hinterfragt. Hingegen wird darauf bestanden, die Verschiedenheit der
Geschlechter mit Ungleichheit zu identifizieren. Ungleichheit ist der Grund für
Ungerechtigkeit. Ungerechtigkeit muss bekämpft werden. Erst, wo totale
Gleichheit herrscht, gibt es keine Unterdrückung mehr. Soweit die Theorie. Eine
ideologische Luftblase, sagen Kritiker, die, wie die jüngste Geschichte lehrt,
gesellschaftspolitisch schon geplatzt ist. Nichtsdestoweniger wird das
marxistische Unterdrückungsschema weiterhin stur auf die Geschlechterbeziehung
angewendet.
Frausein und Mutterschaft kommen in diesem Kontext nicht gut weg. Wenn
überhaupt, dann werden sie als diskriminierende Faktoren beschrieben. In
breitem Stil auch vom Europaparlament, das die Anerkennung der „sexuellen
Rechte von Frauen und reproduktive Gesundheit“, so der Sprachduktus seit
Peking, als große Errungenschaft einschätzt. Ein gleichnamiges Dokument wurde
im Juni 2002 vom Europaparlament ratifiziert. Inhaltlich geht es darin vor
allem um die Forderung nach Legalisierung der Abtreibung in den - auch in den
künftigen- europäischen Mitgliedstaaten. Die Befreiung der Frau wird ganz
traditionell an die Befreiung vom Kind geknüpft. Davon hatte schon Friedrich
Engels 1884 geträumt.
In seiner Schrift „Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des
Staates“ befasst sich Engels mit der Frage nach der „Produktion und
Reproduktion des unmittelbaren Lebens“ und entwickelt darin folgende Thesen:
Das Patriarchat, die Vorherrschaft des Mannes, habe sich erst nach und nach
durchgesetzt. Die Familie, die sich auf das Patriarchat gründet, sei das erste
System von Ungerechtigkeit und Klassendenken. Engels wörtlich: „Der erste Klassengegensatz,
der in der Geschichte auftritt, fällt zusammen mit der Entwicklung des
Antagonismus von Mann und Weib in der Einzelehe, und die erste
Klassenunterdrückung mit der des weiblichen Geschlechts durch das männliche.“
Klassenkampf also zwischen Wohnzimmer und Küche. Die monogame Ehe, fährt Engels
fort, „tritt auf als Unterjochung des einen Geschlechts durch das andre“, die
Scheidung sei eine "Wohlthat". Der "Mann" stehe für die
"Bourgeoisie", die "Frau" für das "Proletariat".
Ihre "Haussklaverei" müsse beendet werden. Die Schlussfolgerungen,
die Friedrich Engels programmatisch zieht, sind jenen der Gender-Ideologen und
Frauenpolitiker zum Verwechseln ähnlich.
Schon
damals forderte er erstens: die Abschaffung der Familie, zweitens: die
gleichartige Eingliederung von Mann und Frau in den Arbeitsprozess und
drittens: die öffentliche Kindererziehung. Seine Vision: „Die Privathaushalte
verwandeln sich in eine gesellschaftliche Industrie. Die Pflege und Erziehung
der Kinder wird öffentliche Angelegenheit.“ Kate Millet und Shulamit Firestone,
zwei Klassikerinnen des radikalen amerikanischen Feminismus der Siebzigerjahre
und Ahnfrauen der Gender-Ideologen, loben Engels wertvollen Beitrag zur
sexuellen Revolution. Unverhohlen wird mit dem Marxismus geliebäugelt. Firestone
folgert, dass das erstrangige Ziel der Revolution zur Befreiung der Frau darin
besteht, sie von der Bürde des Kinderkriegens zu befreien. Wenn sie sich durch
Verhütungsmittel, Abtreibung usw. weigere, Kinder zu bekommen, würden Männer
eine technische Lösung für den Nachwuchs finden müssen. Die "Befruchtung
im Reagenzglas“ sei „nur eine Frage der Zeit“. Zumindest in diesem Punkt hat
Firestone Recht behalten. Das Fruchtbarkeitsgeschäft ist heute, so ein Bericht
der "New York Times", zu einem Industriezweig geworden, bei dem in
den USA jährlich rund eine Milliarde Dollar eingenommen werden.
Doch
damit nicht genug. Denn nur ein bis ins letzte geschlechtlich nivellierter
Mensch kann laut Feministen die Basis für eine herrschaftsfreie Gesellschaft
sein.
Ein
natürliches Geschlecht gäbe es ohnehin nicht.
Also
müssten jetzt die letzten sozialen Ausläufer von so etwas wie Geschlecht
getilgt werden: die sogenannten „Geschlechterrollen“. Die Stunde von
"Gender" hat geschlagen.
Mit dem englischen Begriff Gender soll das Geschlecht schlechthin als
sozio-kulturelle Rolle definiert werden. Die Frage ist jedoch: Kann man aus
seinem Geschlecht einfach so herausschlüpfen? Es wechseln wie ein Kostüm? Genau
das legt der Begriff "Rolle" nämlich nahe, weshalb er von Genderologen
gerne in Kombination mit "Geschlecht" verwendet wird.
Der Begriff der „Rolle“ stammt aus der Theatersprache. Jemand übernimmt mit
entsprechender Kostümierung eine bestimmte Rolle in einem vorgegebenen Stück.
Er spielt, er verstellt sich, um den Ansprüchen der Rolle, in die er
hineingeschlüpft ist, gerecht zu werden. Die moderne Soziologie, die diesen
Rollenbegriff übernahm, verwendet ihn häufig nur noch zur Beschreibung von
"situationsspezifischen Verhaltenweisen" oder einem "relativ
festen Geflecht von Verhaltensmustern“. Wenn aber alles „Rolle“ ist, so muss
man einwenden, gibt es keine Unterscheidung mehr von Illusion und Leben, von
artifiziellem, von außen auferlegtem Handeln und innerem Wesen. Wenn Geschlecht
rein soziologisch, als Rolle etabliert wird, kann es jederzeit ausgetauscht
werden. Genau dieser Gedanke soll durch Gender weltweit verankert werden. Nur:
Ist es vernünftig, etwa Mutterschaft und Vaterschaft rein als
Geschlechterrollen zu definieren?
Dagegen wurden mehrfach anthropologische Einwände gebracht, unter anderem von
der Gender-Expertin Dale O'Leary, der Philosophin Hanna Barbara Gerl-Falkovitz
oder der Ex-Feministin Karin Struck. Eine Frau hat nicht die Rolle übernommen,
Mutter zu sein; ein Mann hat nicht die Rolle übernommen, Vater zu sein. Sie ist
Mutter und er ist Vater. Es geht hier, sagen Kritiker, um personale
Dimensionen, nicht bloß um sozio-biologische. Mutterschaft ist an die personale
Struktur des Frauseins gebunden und Vaterschaft an jene des Mannseins. Das
Geschlecht umfasst also den ganzen Menschen, und das, selbst wenn es zu keiner
leiblichen Mutter- oder Vaterschaft kommt. „Mutter“ sein und „Vater“ sein sind
dann überhaupt Weisen des Füreinander-Daseins. Das Beispiel der Mutter Teresa
macht diesen Gedanken einleuchtend. Nur eine Frau kann Mutter sein. Nur ein
Mann kann Vater sein. Ob Engels & Co. das einfach nicht verstehen wollen?
Tagespost,
Mai 2003, VON SUSANNE KUMMER
Kommenden
Sonntag ist Muttertag. Ein Tag, der für Gender-Ideologen höchst verdächtig ist.
Denn wer von Frau oder Mann spricht oder sie gar feiert, feiert ein Phantasma.
„So etwas wie Geschlecht gibt es gar nicht. Sätze mit Geschlechtsprädikaten
sind sinnlose Sätze. Wer daran glaubt, dass es Männer und Frauen gibt, glaubt
an Gespenster“, bringt es die Philosophin und Feminismusforscherin Käthe
Trettin auf den Punkt. Die innerfeministische Debatte, so scheint es, ist in
Gang gekommen. Das Dilemma liegt auf der Hand: Wenn just das Geschlecht kein
wesentlich Merkmal der Person sein darf, de-konstruierbar ist: Worauf berufen
sich dann politische Forderungen? Es gibt ja dann gar keine echten Frauen und
keine echten Männer mehr. Konstruktivistinnen wie Judith Butler vertreten
einerseits einen „robusten Realismus“, wenn es um politische Anliegen der
Frauen geht. Zugleich würden sie sich aber selbst den theoretischen Boden unter
den Füßen wegziehen, um überhaupt von „Frauen“ sprechen zu können, kritisiert
Trettin zu recht. Sie spricht von einem
"Konstruktivismus-cum-Antirealismus" im Gender-Denken. Welcher Mensch
unter die Kategorie "Frau" fällt, ließe sich nicht mehr eindeutig
definieren; es gibt nur noch "variable Geschlechtsbedeutungen", die
jeder beliebig für sich wählen kann.
Die
Frage, die sich stellt, lautet: Ist das Geschlecht tatsächlich nur so etwas wie
eine Hülle? Als angestückeltes Etwas an uns selbst, als ein übergestülptes
Kostüm zu verstehen oder als eine Rolle, die man an oder ablegen kann, die
austauschbar ist?
Wer in der bestehenden Geschlechterforschung nach adäquaten anthropologischen
Antworten sucht, wird bald enttäuscht sein. Die Koordinaten für ein
menschliches Leib-Seele-Verständnis sind verrutscht. Wieder einmal, müsste man
fast hinzufügen. Denn das dualistische Denken hat eine lange Tradition.
Im Dualismus wird der Leib als Entfremdung konzipiert: als Kerker (Platon), als
Fessel, als Maschine (Descartes). Gewiss, jeder kennt die Erfahrung, dass der
eigene Leib einem hinderlich werden kann, dass er begrenzt. Ein Tag Migräne
genügt, um das zu erfahren. Der Leib ist aber deswegen nicht primär
Eingrenzung. Denn: was wären wir ohne ihn? Auch erfahren wir selbst unseren
Leib normalerweise gar nicht als Gegen-stand, als Objekt. Überspitzt
ausgedrückt: Erst wenn wir uns die Hand brechen, merken wir, dass wir eine
haben. Normalerweise bemerken wir sie gar nicht. Der eigene Leib wird also
unmittelbar erfahren als Selbst, nicht als Raum, in dem unsere Seele oder wir
als Subjekte „hausen“. Positiv gewendet: Der Leib ist Ausdruck meiner Selbst,
ermöglicht unser Dasein. Wie ich mich zu meinem Leib verhalte, verhalte ich mir
zu mir selbst. Gleichwohl „bediene“ ich mich seiner als eines integrierenden
Teils meiner selbst - dazu gehört auch seine geschlechtliche Bestimmtheit -, um
mich zur Welt zu verhalten, um offen zu sein für das andere. Das gehört zu
unserem Wesen. Wir sind eben keine Engel, sondern leibhaftig. Und das ist gut
so.
Andererseits
geht der Mensch aber auch nicht bloß in seinem Leib auf. Dank des geistigen Prinzips
kann der Mensch sich zu seinem Leib verhalten - im Gegensatz zum Tier. Die
deutsche Sprache gehört übrigens zu den wenigen, die diese Einmaligkeit des
menschlichen Körpers auch begrifflich zum Ausdruck bringt: „Körper“ wird für
die leblose oder lebendig, nicht-menschliche Natur verwendet; die Bezeichnung
„Leib“ hingegen ausschließlich für den geistig-belebten menschlichen Körper. Wo
passt hier nun das Geschlecht hinein?
Kehren
wir zur vorhin genannten Bedingtheit des Leibes zurück. Zu ihr gehört nämlich
auch die Geschlechtlichkeit. Sie ist keine dem Leib aufgesetzte Eigenschaft
oder bloß ein Accessoire. Es gibt keinen „abstrakten Leib“, dem später
geschlechtliche Merkmale zugewiesen werden. Menschliche Person zu sein, heißt,
Frau oder Mann zu sein. Deshalb meint die Philosophin Hanna Barbara
Gerl-Falkovitz, dass eine Anthropologie des Geschlechts heute zunächst den
eigenen "Körper als Leib zurückgewinnen" muss. Der individuelle
Reifungsprozess besteht nach Gerl- Falkovitz zentral darin, die eigene Geschlechtlichkeit
(als besondere Dimension der Leiblichkeit) positiv in das eigene Dasein zu
integrieren. Die Einheit von Leib und Geist macht die Person aus. Sie erst
erklärt, warum der leibliche Geschlechtsunterschied von Mann und Frau nicht nur
ein rein biologisches Faktum ist. Er hat beim Menschen eine Bedeutung, die
seine ganze Existenz durchzieht. Denn: "Wir sind Frauen, wir sind
Männer" und nicht: "Wir sind Menschen und haben einen Frauenkörper
oder einen Männerkörper".
Genau
diesem Gedanken verschließt sich der Konstruktivismus. Seine These lautet: Es
gibt kein von der Natur aus vorgegebenes Geschlecht, das die ganze Person in
ihrer psycho-physischen Dimension umfasst. Es gibt nur ein gesellschaftlich
konstruiertes Geschlecht. Nichts ist Natur, alles Konstrukt. Zwar gäbe es
biologisch feststellbare Unterschiede. Von ihnen ließen sich aber keine
essenziellen Eigenschaften, die das Wesen von Mann bzw. Frau charakterisieren,
ableiten. Der feministisch-konstruktivistische Ansatz ist seinem eigenen
Selbstverständnis nach anti-biologisch und anti-essenzialistisch.
Alleine mit der Anwendung des Verbs „sein“ („ich bin eine Frau“, „ich bin ein
Mann“), könnte man sich schon den Vorwurf einhandeln, Determinist zu sein,
ärgert sich Trettin. Und jede biologische Analyse, jede natürliche
Alltagsunterscheidung zwischen Mann und Frau gerät „unter den Verdacht eines
üblen Androzentrismus“, weil von feministischer Seite befürchtet wird, Frauen
könnten auf eine biologisch determinierte Reproduktionsrolle reduziert werden.
Die
Betrachtung der Person in ihrer leib-seelischen Einheit zeigt demgegenüber,
dass das Geschlecht nicht wählbar ist. Das setzt voraus, dass man so etwas wie
Natur überhaupt akzeptiert. Und hier liegt auch schon ein wesentlicher
Angriffspunkt: woher wissen Konstruktivisten überhaupt um den Unterschied von
Natur und Konstrukt, wenn doch alles Konstrukt ist? Aufgrund welcher Kriterien
wurde im vorhinein bestimmt, welche Aspekte als "konstruiert" und
welche als "natürlich" zu gelten haben? Diese Begründungen scheinen
nämlich nirgends auf. Sie werden einfach vorausgesetzt.
Die konstruktivistische Methode hat sich so weit von der Alltagserfahrung
entfernt, dass sie ihren eigenen Gegenstand theoretisch nicht mehr begründen
kann, nämlich dass es so etwas wie Frauen oder Männer wirklich gibt.
Historische, sozial bedingte Benachteiligungen von Frauen gibt es – leider
immer noch. Nur: aus dem Faktum der empirischen Tatsache der Diskriminierung
lassen sich nur schwer sinnvolle Schlussfolgerungen für die Anthropologie ziehen.
Diskriminierungen müssen auf der kulturellen Ebene gelöst werden – und nicht,
indem man die Geschlechter theoretisch abschafft, um „Gleichheit“ zu erreichen.