Ein
neues Pfingsten in der Kirche
"Der
Beistand aber, der Heilige Geist,
den der Vater in meinem Namen senden wird,
wird euch alles lehren und euch an alles erinnern,
was ich euch gesagt habe" (Joh 14, 26).
Schwierige
Lage der Kirche
Ausgelöst durch die Anschuldigungen der letzten Wochen gegen Kardinal Groër sind in der Öffentlichkeit seit längerem angestaute
Frustrationen massiv zutage getreten. Aggressive Artikel und Leserbriefe, wie
sie noch vor wenigen Jahren kaum denkbar waren und nur selten vorkamen, gehören
derzeit beinahe zum Alltäglichen. Eine seit langem nicht mehr da gewesene
Verunsicherung greift immer stärker unter den Gläubigen um sich. Viele sind
entmutigt, andere verbittert. Manche sehen sich veranlasst, die Kirche zu verlassen,
wobei allerdings die wahren Motive für diesen Schritt nicht immer klar sind.
Meistens ist ihm eine schon seit längerem bestehende Entfremdung von der
Glaubenspraxis vorausgegangen. Andere erheben lautstark die Forderung nach
Änderungen. Ein "Kirchenvolks-Begehren" wurde gestartet. Die
Gegenreaktionen jener, die mit den Forderungen dieses
"Kirchenvolks-Begehrens" nicht einverstanden sind, können nicht
ausbleiben, weil zumindest in manchen Punkten, die gefordert werden, die Treue
zur Kirche auf dem Spiel steht. Die bereits bestehende Polarisierung unter den
Gläubigen wird dadurch in nächster Zeit wohl aber verschärft werden, verbunden
mit allen Nachteilen, die dies mit sich bringt: Schon jetzt ist es in gewissen
Kreisen wegen der negativen Grundstimmung dem kirchlichen Lehramt gegenüber
fast unmöglich, die in den letzten Jahren wiederholt vorgelegten Klärungen
mancher strittiger Fragen sachlich darzulegen. Die Emotionalisierung bestimmter
Themen erschwert das Gespräch. Die Gräben zwischen den verschiedenen Lagern
werden vertieft bis zur Gefahr der Spaltung.
Chancen der Situation
Die
Auseinandersetzung mit dieser Situation führt uns zu grundsätzlichen
Überlegungen. Wir sind (alle!) genötigt, darüber nachzudenken, was an unserem
Glauben wesentlich ist, welches die eigentliche Ursachen für die krisenhaften
Zustände der Kirche sind und und was wir tun können,
um sie zu überwinden.
Eine Krise ist sehr heilsam, wenn sie einen dringend nötigen Nachdenkprozess
herbeiführt. In diesem Sinn kann auch die jetzige Situation der Kirche positive
Folgen mit sich bringen.
Die chronischen Leiden
der Kirche
Man muss
kein begabter Beobachter sein, um zu bemerken, dass in den letzten 10 - 20
Jahren in einigen Gebieten der Kirche - vor allem in den Wohlstandsländern
westlicher Prägung - einige Probleme regelmäßig diskutiert werden, also
"Dauerbrenner" sind.
Warum kommen immer wieder die gleichen Fragen? Wurde der tief greifende Wandel
der Gesellschaft übersehen? Werden die vorhandenen Nöte zuwenig
beachtet? Werden dringend notwendige Reformen verschleppt?
dass große Nöte trotz pastoraler Bemühungen vorhanden sind, ist
augenscheinlich. Da ist der wachsende Priestermangel, weiters
die Krise von Ehe und Familie mit den vielen Scheidungen, dann das
Auseinanderklaffen zwischen Geboten und Verhalten im sexuellen Bereich bei
einem hohen Prozentsatz der Gläubigen. Es bestehen Probleme in der Sakramentenpastoral. Sie rühren vor allem daher, dass viele
"Gläubige" zwar noch der Kirche angehören und sporadisch am
kirchlichen und sakramentalen Leben teilnehmen, innerlich aber weit von ihr
entfernt sind. Diese Umstände verschärfen die Situation der Priester und aller
in der Seelsorge Tätigen, die sich oft überfordert und allein fühlen. Im Volk
hat sich außerdem - seit längerem? - der Gedanke verbreitet, dass verheiratete
Priester die Menschen mit ihren Nöten besser verstehen könnten als
unverheiratete.
In den letzten Jahrzehnten hat sich ein tief greifender Wandel der Gesellschaft
vollzogen, der sich allerdings bereits im vergangenen Jahrhundert angebahnt
hat. So ist zum Beispiel die Situation von Ehe und Familie stark verändert. Die
einzelnen Mitglieder der Familie (insbesondere die Frau und die Kinder) sind
erfreulicherweise freier, unabhängiger geworden. Die Familie ist vor allem Ort
der Geborgenheit und der persönlichen Entfaltung. Vieles wird für die
Ausbildung der Kinder geleistet, deren Zahl allerdings viel geringer geworden
ist, nicht immer aus egoistischen Gründen. Kinder haben es jedoch dann, wenn
beide Eltern berufstätig sind, wenn sie ohne Vater oder Mutter aufwachsen, in
ihrer Persönlichkeitsentfaltung nicht leicht und leiden am stärksten unter
Krisen in der Familie.
Unsere gesamte Lebensweise ist durch die völlig neuen Verkehrs- und
Kommunikationsmöglichkeiten, durch die Dynamik unserer Konsum- und
Leistungsgesellschaft sehr verschieden von der Lebensweise früherer
Generationen. Auch der Priester lebt in ganz anderen Verhältnissen als früher.
Es hat sich auch seine Arbeit - teils aufgrund der Mitarbeit der Laien, aber
auch wegen der veränderten religiösen Situation - gewandelt. Auch der Priester
ist von Stress und Hektik bedroht.
Hat die Kirche die verschiedenen Entwicklungen zuwenig
beachtet? Hat sie den Zug versäumt oder stimmt die Richtung nicht?
Sich den Fragen
stellen
Es besteht
kein Zweifel, dass wir - d.h. die Kirche in ihrer Gesamtheit - den Wandel der
Gesellschaft in seinen Einzelheiten wahrnehmen und auf die Nöte aller Menschen
eingehen müssen.
Es ist eine Auseinandersetzung erforderlich: Was gehört zum Glauben? Was ist
wichtig, damit er Leben, Energie, Freude bringt? Wie lässt er sich in
Anbetracht des Wandels der Gesellschaft umsetzen? Welches sind die
entscheidenden Hilfen, um den Anforderungen des Glaubens entsprechen zu können?
Wenn uns diese Hilfen nicht zur Verfügung stünden, gliche unsere Situation
jener des Alten Testaments: Wir hätten ein "Gesetz", das erdrückt,
weil es nicht erfüllt werden kann. - Sind vielleicht tatsächlich Änderungen in
der Lehre der Kirche nötig, Anpassungen an Gegebenheiten? Darf die Kirche solche
Änderungen vornehmen?
Wie kann die
Krisensituation überwunden werden?
In den
letzten Jahren haben manche ein neues Konzil verlangt, andere wünschen
zumindest einen gesamtösterreichischen, besser noch einen europäischen
synodalen Vorgang. Persönlich habe ich den Eindruck, dass gerade in der nachkonziliaren Periode schon viele Synoden und
Versammlungen stattgefunden haben und dass zunächst eine gewisse Läuterungs-
und Reifungszeit nötig ist. Nach meinem Gefühl hat es wenig Sinn, immer wieder
neue Beratungen abzuhalten und als deren Ergebnis Lehrschreiben zu verfassen,
die dann nicht oder kaum beachtet werden.
Damit uns Gott helfen und die Krise der Kirche überwunden werden kann, ist
meines Erachtens die Beachtung von drei grundlegenden Voraussetzungen erforderlich:
1.
"Unsere Hilfe kommt von Gott". Ich habe den
Eindruck, dass wir heute oft versucht sind, alle Veränderungen durch
Anstrengungen in der liturgischen Gestaltung, durch psychologische und
pädagogische Methoden und Aktivitäten, mit einem Wort, durch menschliches Tun
zu erreichen. Von neuem müssen wir den Psalm entdecken, in dem es heißt:
"Wenn nicht der Herr das Haus baut, müht sich jeder umsonst, der baut.
Wenn nicht der Herr die Stadt bewacht, wacht der Wächter umsonst" (Ps
127,1). Es gibt viele Nöte, die wir nicht beheben können. Das Heil des Menschen
und das Heil der Welt sind nicht einfach durch uns machbar.
2.
An Christus glauben. Gott hat seinen Sohn gesandt, der die
Welt erlöst hat. Wir können uns nicht selbst erlösen; wir können die Wahrheit
nicht selbst festlegen und auch nicht aus eigener Kraft den Vernetzungen des
Bösen entkommen. Vielleicht liegt hinter den Schwierigkeiten, die wir heute in
der Kirche erleben, u.a. die Botschaft verborgen, dass wir uns allem anderen
voran auf Gott und das Geheimnis der Erlösung und damit untrennbar verbunden
auf das Geheimnis Christi in der Kirche besinnen müssen.
3.
Das Geheimnis der Kirche wahrnehmen. Wer sagt, was wahr ist,
oder welche die Bedingungen sind, deren Erfüllung für die Fruchtbarkeit des Sakramentenempfanges notwendig ist? Was ist eigentlich die
Kirche? Ein Verein, der beliebig verändert werden kann, oder eine Demokratie,
die nach Mehrheitsverhältnissen regiert wird, in der Oppositionen und
politische Pressure-Groups gebildet werden? Wie wirkt Christus durch die
Kirche? Welche Aufgabe haben das Leitungs- und Lehramt? Welche Aufgabe hat die
Basis?
Es ist wahr, dass es in der Kirche im Verlaufe ihrer Geschichte manchmal über
längere Zeit hinweg ein mühsames Ringen in Bezug auf manche Fragen und
Praktiken gegeben hat. Manchmal kam der Anstoß zur Erneuerung von heiligen
Frauen wie z.B. Katharina von Siena oder Theresia von Avilla,
oder von heiligen Männern wie der hl. Franziskus oder der hl. Ignatius von
Loyola, also von der Basis; andere Male verhalfen große Bischöfe wie ein Karl Borromäus oder Reformpäpste wie z.B. Gregor der Große oder
Pius V.. der Erneuerung zum Durchbruch. Immer war das Petrusamt an diesem
Vorgang der Erneuerung mäßigend, ermutigend oder ermahnend beteiligt. Dort, wo
die in der Stiftung durch Christus begründete Leitungsstruktur abgelehnt wurde,
entstand Spaltung.
Auch heute stehen wir in einem solchen Ringen und auch heute sind Heilige
nötig, um die im II. Vatikanischen Konzil bereits grundgelegte Erneuerung zu
verwirklichen. Wir sollen das Wort Jesu im Herzen tragen: "Fürchtet euch
nicht" und Vertrauen haben, aber auch aktiv sein. Jede(r) kann
Ausgangspunkt der Erneuerung sein, nicht aber neben der Kirche - oder gegen
ihre Fundamente.
Was ist konkret zu
tun?