Gesetz - Geist - Freiheit
Liebe Mitchristen!
Diesmal möchte ich Ihnen eine Thematik näher bringen, die immer wieder
aufgeworfen wird und deren Verständnis von größter Bedeutung ist. Es handelt
sich um den Zusammenhang von
Gesetz
- Geist - Freiheit
50 Tage nach dem Paschafest feierte man im späten Judentum zusammen mit dem
Erntedankfest auch den Bundesschluss und die Gesetzgebung am Sinai. 50 Tage
nach Ostern feiert die Kirche Pfingsten, das Fest, an dem sich mit der
Ausgießung des Hl. Geistes das Erlösungsgeschehen erfüllte und der neue Bund
offenbar wurde.
Alter Bund und neuer Bund, Gesetz des Buchstabens, Gesetz des Geistes, wie
stehen sie zueinander? Diese Frage muss immer wieder neu bedacht werden. Ihr
Verständnis hat wichtige Konsequenzen zum einen für das christliche
Erlösungsverständnis, zum anderen für den Bereich von Ethik und Moral.
Gesetz
und alter Bund
Der Begriff "Gesetz" wird im alten und im neuen
Testament formal gleich verwendet. Die fünf Bücher des Mose,
der Pentateuch, beinhalten jene Fülle von Gesetzen, die in ihrer Gesamtheit als
Offenbarung des Willens des Bundesgottes Israels angesehen werden. Die
Israeliten nannten die Gesamtheit dieser Gebote mit der Zeit die "tora", das Gesetz. Die tora
enthält die Ordnung zwischen Jahwe und dem Volk, die man in etwa als
Bundesregel bezeichnen kann. Diese Ordnung galt für Israel als Heilsordnung,
was in jener Phase der Heilsgeschichte begründet liegt, die man altes Testament oder alten Bund nennt. In der Erwählung des
Volkes Israel wurde Gott geschichtlich erfahrbar als der eine Gott, der die
ganze Menschheit zur ewigen Gemeinschaft mit ihm berufen hat. Dieser Ruf, der
als erster an Abraham ergangen war, wurde immer ausdrücklicher. Nach der
Befreiung aus der Knechtschaft Ägyptens fanden die Israeliten ihre Identität
und ihren Bezugspunkt im Gesetz, das sie nach der Wüstenwanderung am Berg Sinai
von Jahwe empfingen. Sie sollten die Gebote, die er ihnen durch Mose mitteilte,
als Ausdruck seiner Weisheit und Liebe verstehen. Durch seine Gebote wollte er
sie weiterhin führen und leiten. "Ihr habt selbst gesehen, wie ich euch
auf Adlersflügeln getragen und hier zu mir gebracht
habe" (Ex 19,4).
Der Mensch ist frei. Durch die Mitteilung der Gebote wird unsere Freiheit nicht
geschmälert, ähnlich wie die Anlegung und Markierung eines Weges unsere
Freiheit nicht schmälern. Gott zeigt den Weg. Er macht auch auf die mit der
Kenntnis des Weges verbundene Verantwortung aufmerksam. "Leben und Tod
lege ich dir heute vor, Segen und Fluch. Wähle also das Leben, damit du
lebst..." (vgl. Dtn 30,19).
Das Volk gab seine freie Zustimmung: "Alles, was der Herr gesagt hat,
wollen wir tun". Der alte Bund war geschlossen. Ein Opferritus drückte die
Lebensgemeinschaft Gottes mit seinem Volk aus: Mose besprengte mit Blut, dem
Zeichen des Lebens, den Altar und das Volk.
Die
Propheten kündigen einen neuen Bund an
Israel hatte den Bund oft gebrochen. Es hielt sich nicht an
die Gebote des Herrn und opferte fremden Göttern. Was würde aus dem erwählten
Volk werden? Zur Zeit des Exils, als zudem auch politisch alles nach Niedergang
aussah, klagte der Prophet Jeremia: "Gebrochen liegt die Tochter meines
Volkes" (Jer 8, 18-21).
Aber Gott gibt seinen Bund nicht auf. Seine Antwort lautet: "Mit ewiger
Liebe habe ich dich geliebt" (Jer 31,3). Und
ausgerechnet in scheinbar aussichtsloser Situation ließ er durch Jeremia
verkündigen: "Nach diesen Tagen werde ich mit dem Haus Israel einen neuen
Bund schließen, nicht, wie der Bund war, den ich mit ihren Vätern geschlossen
habe. Diesen Bund haben sie gebrochen. Ich lege mein Gesetz in sie hinein und
schreibe es auf ihr Herz. Ich werde ihr Gott sein und sie werden mein Volk
sein" (Jer 31,31f). "Neu" bedeutet
hier Neuschöpfung. Was ist damit gemeint? Bis jetzt war das Gesetz für den
Menschen ein Gegenüber gewesen, dessen Forderungen er nicht immer nachkommen
konnte, weil es seine Kraft überforderte. Der Mensch konnte am Gesetz
zerbrechen. Deshalb wollte Gott den Menschen von innen her befähigen, die
Gebote zu halten, indem er ihm das lebensspendende Gesetz ins Herz einpflanzte.
Während die Gebote des alten Bundes auf Steintafeln eingeritzt waren, sollte
der Mensch in Zukunft selber "ein Brief des lebendigen Gottes" sein
(vgl. 2 Kor 3,3). Gottes Geist würde in ihm das Wollen und das Vollbringen
schaffen. Wie geschieht dies?
Jesus
Christus, der Mittler des neuen Bundes
"Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott
seinen Sohn...,damit er die freikaufte, die dem Gesetz
unterstellt waren" (Gal 4,14). Beim Paschafest gedenken die Israeliten
jener Nacht der Befreiung aus Ägypten, in der das Blut eines Lammes sie vor dem
Todesengel bewahrte, der alle Erstgeburt Ägyptens schlug. Als Jesus mit seinen
Jüngern das letzte Mal das Paschamahl feierte, nahm er den Kelch mit Wein und
sprach: "Trinket alle daraus, das ist mein Blut, das Blut des Bundes, das
für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden" (Mt 26,28).
Es hatte im alten Bund keine Sündenvergebung gegeben. Zwar lud der Hohepriester
alljährlich in einem Ritus die Sünden und Übertretungen des Volkes einem
Sündenbock auf, den man dann vor die Tore der Stadt hinausjagte. Aber dies war,
ähnlich wie die Taufe des Johannes am Jordan, nur ein Zeichen. Nun aber ließ
sich der Sohn Gottes selber mit der Last der Sünden aller Menschen beladen.
Davon zu Tode getroffen, gab er sein Leben als Sühnopfer. Er hat "den
Schuldschein, der gegen uns sprach, durchgestrichen und die Forderungen, die
uns anklagten, aufgehoben" (Kol 2,14). Jesus Christus hat die Welt mit
Gott versöhnt und für jene, die an ihn glauben, die unverlierbare Gemeinschaft
mit dem Vater im Himmel erworben.
Der durch Jeremia von Gott verheißene neue Bund war von seinem Zeitgenossen
Ezechiel in noch anschaulicheren Bildern prophezeit worden: "Ich schenke
euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch. Ich nehme das Herz von
Stein aus eurer Brust und gebe euch ein Herz von Fleisch. Ich lege meinen Geist
in euch und bewirke, dass ihr meinen Gesetzen folgt und auf meine Gebote achtet
und sie erfüllt" (Ez 36,25-27).
Sind das bloß schöne Worte? Wird das vom Propheten Verheißene tatsächlich bei
jemandem verwirklicht oder stellt es bloß eine Illusion dar? Die Einpflanzung
des neuen Geistes geschieht nicht automatisch. Jesus sagt: "Nicht jeder,
der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich
kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt" (Mt
7,21). Es hängt auch von uns ab. Die am Berg Sinai geoffenbarten Gebote Gottes
werden durch Christus nicht außer Kraft gesetzt. Wir müssen sie halten nach dem
Wort des Herrn: "Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten"
(Joh 14,15).
Nicht um aufzuheben, sondern um zu erfüllen
Jesus lehrt nachdrücklich: "Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz
und die Propheten aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um
zu erfüllen" (Mt 5,17). Die Gebote haben keineswegs ihre Bedeutung
verloren.
Als Frucht der Erlösung brauchen wir angesichts unserer Schwierigkeiten und
Verfehlungen nie zu verzweifeln. Denn wir wissen, dass wir - sobald wir unsere
Schuld einsehen und bekennen - Vergebung erlangen können. Gerade darin besteht
die Frohbotschaft, die uns Christus gebracht hat.
"Er hat den Schuldschein, der gegen uns sprach, durchgestrichen und die
Forderungen, die uns anklagten, aufgehoben" (Kol 2,14). Die Gebote haben
durch Christus einen neuen Stellenwert bekommen. Auch Er hat das
alttestamentliche Gebot der Gottes- und Nächstenliebe als das wichtigste
erklärt. Er fordert aber sogar eine noch weit größere Gerechtigkeit, als die
der Schriftgelehrten und Pharisäer, indem er seinen Jüngern die Anweisung
erteilt: "Ein neues Gebot gebe ich euch: "Liebt einander, wie ich
euch geliebt habe" (Joh 15,12). Bei ihm geht es nicht um die möglichst
genaue Einhaltung äußerlicher Vorschriften, um sich dadurch zu rechtfertigen,
sondern um die Liebe, mit der in allem Gottes Willen gesucht und erfüllt wird.
Das "neue Herz" und den "neuen Geist"
empfangen wir durch die Vereinigung mit Christus. "Wer in mir bleibt und
in dem ich bleibe, der bringt reiche Frucht" (Joh 15,5). Diese Vereinigung
mit Ihm prägt ein ganzes Leben in allen seinen Bereichen und mit vielen
Konsequenzen. Das beginnt beim kleinsten Gedanken und schließt die Forderung
der Feindesliebe mit ein bis hin zur Wehrlosigkeit und Hingabe des Lebens, nach
Christi eigenem Vorbild. Aber sein Joch ist nicht drückend und seine Last ist
leicht.
Durch Christus eröffnet sich der Weg zur Freiheit. Die christliche Berufung
zündet ein Licht an, das die wahre Bedeutung des Lebens erkennen lässt und jene
große Liebe weckt, die bei Christus die freiwillige Hingabe des Lebens zur
Rettung aller Menschen bewirkt und die bei allen, die Ihm nachfolgen, die
gleiche Bereitschaft hervorruft. Diese Liebe lässt auch bewusst, mit ganzem
Herzen und allen Kräften die Gebote Gottes und alle Weisungen, die wir von Ihm
empfangen haben, ergreifen. "Darum liebe ich deine Gebote mehr als Rotgold
und Weißgold" (Ps 119,127), heißt es schon im Psalm. Das widerspricht
nicht dem Wort des hl. Augustinus: "Liebe, dann tue, was du willst",
sondern bestätigt es.
Von Christus werden wir außerdem ermutigt und befähigt, den Weg der Liebe, den
er uns gezeigt hat, einzuschlagen und durchzuhalten. "Ich werde euch nicht
als Waisenkinder zurücklassen" (Joh 14,18), verspricht Jesus seinen
Jüngern und vor der Himmelfahrt sagt er zu ihnen: "Seid gewiss: Ich bin
bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt" (Mt 28,20). Wir können Ihn, der
die Sünde überwunden und den Tod besiegt hat, empfangen und mit Ihm eins sein.
sodass das Wort wahr wird: "Ist Gott für uns, wer ist dann gegen
uns?" (Röm 8,31). Er macht also frei, indem er den Weg zeigt, - die
Wahrheit wird euch frei machen -, die Fesseln der Sünde sprengt und LEBEN
-ewiges Leben- spendet. Es ist die Freiheit der Kinder Gottes, die uns seit der
Taufe geschenkt und durch den regelmäßigen Empfang der Sakramente erneuert
wird. Sie besteht darin, dass Christi Geist in uns lebt und ruft: "Abba,
Vater!" (Röm 8,15). Wenn wir uns Jesu Geist im Glauben öffnen, kann sich
durch ihn die schöpferische Liebe des Vaters fortsetzen. Seine bedingungslose
Liebe hebt allen Zwang auf. Und gerade dadurch wird der Mensch dazu befreit,
ganz bewusst und aus Liebe die Gebote zu halten.
Das geöffnete Herz Christi ist die größte Offenbarung: Es zeigt uns, bis zu
welchem Maße Gott uns liebt und zu welcher Liebe Gott ein menschliches Herz
befähigt. Aus diesem Herzen strömen Blut und Wasser, Leben und Gnade hervor. Es
ist die Quelle, die uns neu macht und uns, verbunden mit einer bleibenden
Fruchtbarkeit, den wahren Frieden vermittelt.
Mögen diese Gedanken ein kleiner Beitrag dazu sein, auch in unserer Zeit den
Weg zum Glauben zu entdecken.
+ Klaus Küng