Mit Zuversicht in die Zukunft
„Fahr hinaus auf den See!“
Liebe Mitchristen!
Rückblick auf das Heilige Jahr
Papst Johannes Paul II. hat am Beginn des neuen Jahres im apostolischen Schreiben
NOVO MILLENNIO INEUNTE Rückblick auf das Heilige Jahr gehalten. Wer hätte
gedacht, dass tatsächlich so viele Menschen nach Rom pilgern in einer Zeit, in
der häufig vom Rückgang des Glaubens gesprochen wird. Besonders beeindruckend
war der große Andrang beim Weltjugendtreffen, es gab aber auch viele andere
Höhepunkte in diesem Heiligen Jahr, die erkennen ließen, dass in den Herzen
vieler Menschen die Sehnsucht nach Gott, nach Erlösung, nach einer besseren
Welt lebendig ist.
Mitteleuropa - weniger euphorisch
Auch bei uns wurden Anstrengungen unternommen, um das Heilige
Jahr bewusst zu machen. Jubiläumskirchen wurden eingerichtet, nicht wenige
Initiativen verwirklicht, es gab auch Pilgerfahrten nach Rom und ins Heilige
Land. Trotzdem kann nicht übersehen werden, dass im mitteleuropäischen Raum die
Reaktionen auf das heilige Jahr nicht so enthusiastisch waren wie anderswo.
Manche Gruppen von Gläubigen haben sich für die Wahrnehmung der mit dem
Heiligen Jahr verbundenen Angebote sehr eingesetzt, aber es kam nicht zu einem
allgemeinen Aufbruch. Woran liegt es? Laufen bei uns die Uhren anders?
Der Papst fordert in seinem Schreiben dazu auf, innezuhalten und die Zukunft
ins Auge zu fassen: „Jede Kirche nimmt also jetzt, wenn sie über das nachdenkt,
was der Geist dem Volk Gottes in diesem besonderen Jahr der Gnade und in dem
noch längeren Bogen der Zeit, der sich zwischen dem II. Vatikanischen Konzil
und dem großen Jubiläum aufspannt, eine Bestandsaufnahme ihres Eifers vor und
gewinnt neuen Schwung für ihren geistlichen und pastoralen Einsatz“ (3),
schreibt wörtlich Johannes Paul II.. Was bedeutet dies für uns? Dürfen wir uns
mit der Feststellung begnügen, dass bei uns das Heilige Jahr nicht so
spektakuläre Früchte getragen hat, um dann wieder zur gewohnten Tagesordnung
und zu den üblichen Aktivitäten überzugehen? Müssen wir uns damit abfinden,
dass bei uns gewisse Entwicklungen – Schwund der religiösen Praxis bei einem
größeren Teil der Gläubigen, eine von Jahr zu Jahr immer noch schwieriger
werdende Glaubensvermittlung, Rückgang der geistlichen Berufe, Krise der
Familie usw. – eingesetzt haben, die anscheinend unaufhaltsam und
möglicherweise in einem eher schneller werdenden Tempo fortschreiten? Wird in
unserer Gesellschaft ein Neuheidentum dominierend werden und damit verbunden
eine entsprechende Änderung der öffentlichen Ordnung eintreten? Müssen wir
damit rechnen, dass nicht nur die pränatale Diagnostik, bei der die den
Vorstellungen der Eltern bzw. der Gesellschaft nicht entsprechenden Kinder großteils „eliminiert“ werden, ein beinahe alltägliches
Geschehen ist, sondern dass auch Euthanasie bei uns Einzug halten wird und nach
und nach alle jene Verhaltensweisen einen gesetzlichen Rückhalt empfangen, die
den Mehrheitsverhältnissen entsprechen?
Neuanfang
– eine Illusion?
Der Papst zieht als Frucht seiner Reflexion über das Heilige
Jahr den Schluss, die Begegnung mit Christus sei das Erbe des großen Jubiläums.
Viele hätten das Verlangen nach Reinigung des Herzens gespürt, wunderbar sei
das Zeugnis des Glaubens der Bekenner und Märtyrer im 20. Jahrhundert,
beeindruckend die Schar der Pilger sowie die religiöse Sehnsucht und
Begeisterung, gerade auch bei jungen Menschen. Ein neuer Dynamismus sei spürbar
geworden, man dürfe nun die Hände nicht in den Schoß legen, sondern im
Gegenteil.
Der Papst spricht dann in seinem Schreiben davon, dass wir das Verlangen haben
müssten, das Antlitz Jesu zu betrachten, dass es für uns notwendig und von
größter Bedeutung wäre, das Zeugnis der Evangelien über IHN wahrzunehmen, die Tiefe
des Geheimnisses der göttlichen Person Jesu und seiner Menschheit als Weg des
Glaubens zu entdecken. Er verlangt weiter als Ergebnis dieser Erwägungen einen
Neuanfang. Sind diese Gedanken des Heiligen Vaters realistisch? Sind sie auf
unsere Situation anwendbar?
Wir müssen uns freilich auch Anfragen gefallen lassen, die an uns gerichtet
sind: Glauben wir an die erlösende Kraft des Herrn? Glauben wir an seine Nähe,
an seine Gegenwart, an seine Verheißungen? Für mich gehört es zum Bedrängendsten, bei relativ vielen christlichen Eltern,
aber auch bei Priestern und Religionslehrern eine tiefsitzende Resignation
feststellen zu müssen. Sie machen die Erfahrung, dass insbesondere die junge
Generation, aber auch die mittlere und nicht wenige ältere Menschen vieles
nicht mehr annehmen, was früher selbstverständlich war. Das führt dazu, dass
manche, die die Aufgabe der Verkündigung wahrnehmen sollen, bestimmte „alte“
Wahrheiten und Gebote gar nicht mehr darlegen, weil sie davon ausgehen, dass
diese „niemand“ annimmt.
Nicht selten sagt man, die Kirche sei selber an diesen Entwicklungen schuld,
weil noch immer manche ihrer Vertreter mit veralteten Forderungen aufwarten,
die niemand erfüllen mag, und Antworten geben, die nicht befriedigen ... Wie
soll in einer solchen Situation ein Neuanfang möglich sein? Und „fromme“
Gedanken und Worte: wem sollen sie helfen?
Oder sind alle diese Erwägungen viel zu negativ, weil in Wirklichkeit alle –
oder fast alle – guten Willens sind und ihr Bestes geben? Auch diese
optimistische Einschätzung der Lage findet sich hier und dort.
Sich
den Problemen stellen – ein Ruf zur Umkehr?
Der Papst lenkt in seinem Schreiben den Blick auf jenes
Antlitz voller Schmerzen, dem wir begegnen, wenn wir über unser Leben und das
der anderen nachdenken und es dem Leben Jesu gegenüberstellen. Das Antlitz des
Auferstandenen aber wird zum wahren Lichtblick. „Durch diese Erfahrung
gestärkt, nimmt die Kirche heute ihren Weg wieder auf, um der Welt zu Beginn
des dritten Jahrtausends Christus zu verkünden: ‚Er ist derselbe gestern, heute
und in Ewigkeit’ (Hebr 13, 8)“, (28).
Es ist unsere Aufgabe, dass wir uns den Problemen unserer Zeit stellen. Machen
wir es uns nicht zu leicht! Vieles wiederholt sich im Laufe der
Menschheitsgeschichte. Wir sollten nicht als unumstößliche Entwicklung ansehen,
was Folge falscher Nachgiebigkeit vieler und Folge eines Mangels an Vertrauen
in Christus sein kann, z.B. der Trend, vor der Ehe zusammenzuleben, ohne
verheiratet zu sein, oder es mit dem Sonntagsgottesdienst nicht mehr so genau
zu nehmen. Ob nicht heute wie damals aktuell ist, was von Ninive berichtet
wird? Alljährlich lesen wir in der Fastenzeit aus dem Buch Jona: „Das Wort des
Herrn erging an Jona: Mach dich auf den Weg, und geh nach Ninive, in die große
Stadt, und droh ihr all das an, was ich dir sagen werde. Jona machte sich auf
den Weg und ging nach Ninive, wie der Herr es ihm befohlen hatte. ... Jona
begann, in die Stadt hineinzugehen; er ging einen Tag lang und rief: ‚Noch 40
Tage, und Ninive ist zerstört!’“ (Jona 3, 1-4). Die Leute von Ninive glaubten
an Gott. „Sie riefen ein Fasten aus, und alle, groß
und klein, zogen Bußgewänder an“ (5). Aufgrund der
Umkehr wird Ninive verschont. Ob uns nicht Jesus ähnlich antworten würde wie
jenen Leuten, die ihm von den Galiläern berichteten, die
Pilatus beim Opfern umbringen ließ, so dass sich ihr Blut mit dem ihrer
Opfertiere vermischte? Jesus sagte zu ihnen: „Meint ihr, dass nur diese
Galiläer Sünder waren, weil das mit ihnen geschehen ist, alle anderen Galiläer
aber nicht? Nein, im Gegenteil: Ihr alle werdet genauso umkommen, wenn ihr euch
nicht bekehrt“ (Lk 13, 1-3). Jesus fügt dann noch eine weitere, ähnliche
Geschichte an mit der gleichen Folgerung.
Vielleicht wird jemand einwenden: Das klingt nach Droh-Botschaft! Mag sein,
aber sind es nicht Worte des Herrn? Ninive hat sich bekehrt! Reicht für uns
eine bequeme, optimistische Sicht der Zukunft?
Ein
Programm pastoraler Wiederbelebung
Bevor der Heilige Vater in seinem Schreiben NOVO MILLENNIO
INEUNTE einige konkrete Punkte darlegt, die in einem ernsthaften Bemühen um ein
christliches Leben niemals fehlen dürfen, macht er eine grundlegende Bemerkung.
Er weist darauf hin, dass wir in unseren Überlegungen, was wir in unserer
Situation und in der Situation unserer Gesellschaft tun sollen, bei Christus
ansetzen müssen. Wir sollen nicht auf eine „Zauberformel“ hoffen, denn „keine
Formel wird uns retten, sondern eine Person, und die Gewißheit,
die sie uns ins Herz spricht: „Ich bin bei euch!“ (29). Der Papst sagt weiter,
es gehe auch nicht darum, ein „neues Programm“ zu erfinden, denn das Programm
liege bereits vor. „Seit jeher besteht es, zusammengestellt vom Evangelium und
von der lebendigen Tradition“ (ebenda). Er fügt hinzu, dass dieses Programm
letztlich in Christus selbst eine Mitte findet. „Ihn gilt es kennenzulernen, zu
lieben und nachzuahmen, um in ihm das Leben des dreifaltigen Gottes zu leben
und mit ihm der Geschichte eine neue Gestalt zu geben, bis sie sich im
himmlischen Jerusalem erfüllt“ (ebenda). Er hält dabei fest, dass sich dieses
Programm mit dem Wechsel der Zeiten und Kulturen nicht ändert, auch wenn es für
einen echten Dialog und eine wirksame Kommunikation die Zeit und die Kultur
berücksichtigt. Deshalb wird es notwendig sein, das Programm in pastorale
Weisungen zu übersetzen, die den Bedingungen der Zeit angemessen sind.
In diesem Sinn - so der Papst – ist ein Werk pastoraler Wiederbelebung
notwendig, das sich jede Diözese überlegen muss. Der Papst zeigt einige
pastorale Prioritäten auf, die immer zu beachten sind.
Eckpunkte des Programms
Heiligkeit
Als allererstes erinnert der Papst an das 5. Kapitel der
dogmatischen Konstitution des II. Vatikanischen Konzils über die Kirche. Dort
heißt es: „Alle Christgläubigen jeglichen Standes oder Ranges sind zur Fülle
des christlichen Lebens und zur vollkommenen Liebe berufen“.
Der pastorale Weg muss, wenn er echt und fruchtbar sein soll, durch die
Perspektive „Heiligkeit“ gekennzeichnet sein. Das Wort mag für uns einen
distanzierenden Klang in sich tragen, trotzdem: es ist sehr wichtig, dass dies
Ausgangspunkt und Grundlage aller Zielsetzungen der pastoralen Bemühungen ist.
Was ist damit gemeint? Auch wenn wir alle um unsere Begrenztheit und
Fehlerhaftigkeit wissen, die uns hier auf Erden immer – bis zum Tod – begleiten
wird, so muss es doch unser Ziel sein, die Verbundenheit mit Gott anzustreben,
in ihr fortzuschreiten, sie zu bewahren und zu vertiefen, bis wir eines Tages
für immer mit Gott vereint sein werden. Von diesem Ziel dürfen wir niemals
abgehen: falls dies doch manchmal geschieht, müssen wir zu ihm wieder
zurückkehren, falls wir unseren Schritt zu sehr verlangsamt haben, müssen wir
ihn wieder beschleunigen. Das bedeutet mit anderen Worten, sich niemals mit
einem mittelmäßigen Leben zufrieden zu geben. Unsere Haltung darf nicht
minimalistisch und unsere Religiosität nicht oberflächlich sein. Das
Vorhandensein eines ehrlichen Strebens nach Verbesserung ist demgemäß das
unabdingbare Kennzeichen jedes lebendigen Gliedes Christi. Dieses Streben zu
erwecken, zu begleiten, zu fördern und zu bestärken muss das Ziel des
pastoralen Einsatzes der Kirche sein.
Vielleicht ist es wichtig, in diesem Zusammenhang auf mögliche
Missverständnisse hinzuweisen. „Die universale Berufung zur Heiligkeit“, von
der das Konzil spricht, bedeutet nicht, dass im Grunde genommen alle Christen
Ordensleute, Priester oder ähnliches werden sollten oder dass
Streben nach Heiligkeit voraussetzt, dass alle Wunder wirken oder andere
außerordentliche Gnadengaben erlangen sollten. Es gibt viele Wege, die zu Gott
führen – z.B. Ehe und Familie -, viele Arten der Wirksamkeit; auch die
Voraussetzungen des einzelnen sind sehr unterschiedlich, unterschiedlich sind
ebenso die Gnadengaben. Kennzeichnend sollte aber für jeden Christen ein
aufrichtiges Bemühen sein, mit der Hilfe Gottes den Glauben ernst zu nehmen, in
der Liebe und in den anderen Tugenden zu wachsen und gegen die eigenen Fehler
anzukämpfen. Der Papst folgert: „Das ganze Leben der kirchlichen Gemeinschaft
und der christlichen Familien muss in diese Richtung führen“ (31).
Das Gebet
Ein großes Anliegen muss es uns sein, beten zu lernen und das
Gebet zu pflegen. „Beten muss man lernen“, schreibt der Papst „indem man diese
Kunst immer aufs neue von den Lippen des göttlichen
Meisters abliest“ (32). Die ersten Jünger taten dies, indem sie baten: „Herr,
lehre uns beten“ (Lk 11, 1). Das Gebet macht uns zu seinen engsten Vertrauten
gemäß seinem Wort: „Bleibt in mir, dann bleibe ich in euch“ (Joh 15, 4). Der Papst
bezeichnet diese Wechselseitigkeit als „den eigentlichen Kern“, als „die Seele
des christlichen Lebens und die Voraussetzung für jede echte Seelsorge“ (vgl.
32).
Der Heilige Vater erwähnt auch, dass es vielleicht ein Zeichen der Zeit sei,
wenn heute in der Welt trotz der weitreichenden Säkularisierungsprozesse ein
verbreitetes Bedürfnis nach Spiritualität feststellbar sei, ein Phänomen, das
auch bei uns spürbar ist.
Johannes Paul II. leitet von diesem Gebetsbedürfnis ab, dass unsere
christlichen Gemeinden echte Schulen des Gebetes werden müssen. Die
Gebetserziehung aller Gläubigen müsse ein wichtiges Anliegen sein. Dieses
Bemühen um Gebet, seine Pflege und Förderung werden nicht von den anderen
wichtigen Aufgaben ablenken, „denn“ - wie die Glaubens-Kongregation im
Schreiben über einige Aspekte der christlichen Meditation festgestellt hat –
„während es aufgrund seiner Natur das Herz der Gottesliebe öffnet, öffnet es
dieses auch der Liebe zu den Brüdern und befähigt sie, die Geschichte nach
Gottes Plan aufzubauen“ (AAS 82).
Es entspricht einer Notwendigkeit für jeden Christen, sich mit den Fragen des
persönlichen und gemeinsamen Gebetes zu beschäftigen, es zu üben und nach Wegen
der Vertiefung Ausschau zu halten. Der Papst macht aufmerksam: „Man ginge fehl,
würde man annehmen, die gewöhnlichen Christen könnten sich mit einem
oberflächlichen Gebet zufrieden geben, das ihr Leben nicht zu erfüllen vermag“
(34). Er führt dafür folgende Gründe an: „Besonders angesichts der zahlreichen
Prüfungen, vor die die heutige Welt den Glauben stellt, wären sie nicht nur
mittelmäßige Christen, sondern gefährdete Christen. Denn sie würden das
gefährliche Risiko eingehen, ihren Glauben allmählich schwinden zu sehen.
Schließlich würden sie womöglich dem Reiz von „Surrogaten“ erliegen, indem sie
alternative religiöse Angebote annehmen und sogar den seltsamen Formen des
Aberglaubens nachgeben“ (ebenda). Das sind ohne Zweifel sehr wichtige Hinweise.
Wir leben in einer Freizeitgesellschaft. Es fehlt für Gebet nie an Zeit. Und
wenn es wegen sehr viel Arbeit an Zeit zu fehlen scheint, wird es gut sein,
sich zu fragen, ob die vielen Tätigkeiten wirklich so wichtig sind. Ältere
Menschen ohne berufliche Verpflichtungen sollten überlegen, ob sie ihre Zeit
gut nützen: vielleicht bräuchten ihre Kinder und Kindeskinder auch manche ihrer
Freunde und vor allem die Kirche dringend ihr Gebet!
Die sonntägliche Eucharistiefeier
Der Papst schreibt: „Der größte Einsatz muss daher für die
Liturgie aufgewandt werden, die der ‚Höhepunkt (ist), dem das Tun der Kirche
zustrebt, zugleich die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt’ (II. Vat. Konzil, Konstitution über die hl. Liturgie 10)“ (35).
Er führt dann näher aus, dass im 20. Jahrhundert, besonders seit dem Konzil,
die christliche Gemeinde in der Feier der Sakramente, vor allem der
Eucharistie, gewachsen sei. Diese Richtung müsse man weiter verfolgen „durch
besondere Hervorhebung der sonntäglichen Eucharistiefeier und des Sonntags
selbst, der als besonderer Tag des Glaubens, als Tag des auferstandenen Herrn
und des Geschenkes des Geistes, als wöchentliches Ostern wahrgenommen wird“
(Apostolisches Schreiben über die Heiligung des Sonntags DIES DOMINI 19). Die
Teilnahme an der Eucharistie sei für jeden Getauften das Herz des Sonntags und
ein unverzichtbarer Anspruch, „den man nicht nur erfüllt, um einer Pflicht
nachzukommen, sondern weil er für ein wahrhaft bewußtes
und stimmiges christliches Leben notwendig ist“ (36).
Der Papst gibt außerdem zu bedenken, dass wir in ein Jahrtausend eintreten, in
dem sich auch in den Ländern alter christlicher Tradition ein Ineinander von
Kulturen und Religionen abzeichnet. In vielen Gebieten seien deshalb die
Christen eine „kleine Herde“ (Lk 12, 32) bzw. würden sie eine solche werden.
Dieser Umstand stelle sie vor die Herausforderung, „oft auf verlorenem Posten
und unter Schwierigkeiten noch kraftvoller für die besonderen Züge der eigenen
Identität Zeugnis abzulegen“ (36). Dazu gehöre auch die Verpflichtung, jeden
Sonntag an der Eucharistiefeier teilzunehmen.
Die Eucharistie sei auch das natürlichste Mittel gegen die Zerstreuung, denn
sie sammelt Woche für Woche am Sonntag die Christen als Familie Gottes um den
Tisch des Wortes und des Lebensbrotes. „Sie ist der vorzüglichste Ort“ – so der
Papst - , „wo die Gemeinschaft ständig verkündet und
gepflegt wird“ (36).
Das Sakrament der Versöhnung
Einen besonderen Punkt widmet der Papst dem Sakrament der
Versöhnung. Er bittet „um einen neuen pastoralen Mut“ (37), um mit aller
Anstrengung die Krise des Sündenbewusstseins anzugehen, die sich in der
zeitgenössischen Kultur feststellen lässt. Jesus Christus müsse als „Mysterium pietatis“ wieder freigelegt werden. Wörtlich schreibt der
Papst: „In Christus zeigt uns Gott sein mitfühlendes Herz und versöhnt uns ganz
mit sich. Dieses Antlitz Christi muss man auch durch das Sakrament der Buße neu
zeigen“ (37). Der Papst betont neuerlich, dass das Bußsakrament für einen
Christen „der ordentliche Weg (ist), um die Vergebung und die Verzeihung seiner
schweren Sünden zu erlangen, die er nach der Taufe begangen hat“ (Nachsynodale Exhortation ECON-CILIATIO ET POENITENTIA, 31).
Johannes Paul II. stellt fest, dass schon die Bischofssynode im Jahre 1984 die
Krise vor Augen gehabt habe, die gerade in Bezug auf dieses Sakrament in
manchen Ländern vorhanden ist. Die Gründe, die an der Wurzel dieser Krise
liegen, seien in der kurzen Zeitspanne seit damals noch nicht geschwunden.
Der Heilige Vater erwähnt, dass im Heiligen Jahr viele das Bußsakrament
empfangen haben, auch junge Menschen, und gerade im Bewusstsein dieser
positiven Erfahrung, fordert er die Hirten in der Kirche auf, „mehr Vertrauen,
mehr Phantasie und einen längeren Atem zu haben, um das Bußsakrament in der
Verkündigung vorzulegen und seine Wertschätzung zu fördern“ (37). Er schließt
mit der Ermahnung: „Wir dürfen, liebe Brüder im Priesteramt, vor zeitbedingten
Krisen nicht resignieren! Die Gaben des Herrn – die Sakramente – gehören zu den
wertvollsten, kommen von demjenigen, der das Herz des Menschen gut kennt und
der Herr der Geschichte ist“ (ebenda).
Der Vorrang der Gnade
Sehr wichtig ist der Hinweis des Papstes auf die Versuchung,
die seit jeher jeden geistlichen Weg und selbst das pastorale Wirken gefährdet:
zu glauben, dass die Ergebnisse von unserem Machen und Planen abhängen.
Wörtlich heißt es in NOVO MILLENNIO INEUNTE: „Gewiss bittet uns Gott um eine
reale Mitwirkung an seiner Gnade und fordert uns daher auf, alle unsere
intellektuellen und praktischen Fähigkeiten in unserem Dienst für die Sache des
Reiches Gottes zu investieren. Aber wehe, wenn wir vergessen, dass wir ‚ohne
Christus nichts vollbringen können’ (vgl. Joh 15, 5)“ (38).
Deshalb die große Bedeutung, dem persönlichen und gemeinsamen Gebet
entsprechend Raum zu geben und ständig den Primat Christi und im Verhältnis zu
ihm den Primat des inneren Lebens und der Heiligkeit vor Augen zu haben. Wann
immer dieses Prinzip nicht eingehalten wird, dürfe man sich nicht wundern – so
der Papst -, wenn die pastoralen Vorhaben auf ein Scheitern zusteuern und ein
entmutigendes Gefühl der Frustration die Folge ist.
Wenn wir dagegen diese Zusammenhänge beachten und dementsprechend um
Verbundenheit mit Christus bemüht sind, werden uns die Erfahrungen des reichen
Fischfanges zuteil werden.
Der Papst hebt dann noch zwei weitere sehr wichtige Punkte hervor.
Auf das Wort hören
Den Primat des Gebetes und der Heiligkeit kann man nur auf
der Grundlage eines erneuerten Hinhörens auf das Wort Gottes anstreben. Der
Heilige Vater stellt in seinem Schreiben fest, dass man im eifrigen Hören und
aufmerksamen Lesen der Heiligen Schrift ohne Zweifel große Fortschritte gemacht
habe, seitdem das II. Vatikanische Konzil die herausragende Rolle des Wortes
Gottes im Leben der Kirche unterstrichen hat. Die Hl. Schrift werde heute in
den Gemeinden und von den einzelnen in größerem Maße verwendet als dies früher
der Fall war. Jetzt sei es wichtig, insbesondere durch die Verbreitung der
Bibel in den Familien diese Einstellung zu festigen und zu vertiefen. Besonders
empfiehlt der Papst die sogenannte „Lectio divina“, die möglichst tägliche Pflege der Lektüre der Hl.
Schrift und eines geistlichen Buches.
Das Wort verkünden
Der Papst sagt, dass wir uns vom Wort nähren müssen, um im
Bemühen um die Weitergabe des Glaubens „Diener des Wortes zu sein“. Das sei mit
Sicherheit eine Priorität für die Kirche am Beginn des neuen Jahrtausends.
Heute müsse man sich mutig einer Situation stellen, die im Zusammenhang mit der
Globalisierung und der neuen gegenseitigen Verflechtung von Völkern und
Kulturen immer vielfältiger und anspruchsvoller werde.
Wir wissen, dass es diesbezüglich große Probleme gibt: Sie hängen damit
zusammen, dass die Schulen ein Abbild der pluralistischen Gesellschaft sind.
Die Schüler stammen nur teilweise aus gläubigen Familien, aber auch die Lehrer
vertreten unterschiedliche Lebensanschauungen. Dadurch bedingt werden an den
Schulen heute die christlichen Werte kaum mehr vermittelt und auch der
Religionsunterricht kann nicht mehr das leisten, was vor einigen Jahrzehnten
noch möglich war. Für die Pfarren ist aufgrund der Veränderung der Verhältnisse
die Verkündigung schwieriger geworden, aber auch die christlichen Familien,
denen die Weitergabe des Glaubens an die Nachkommen und Generationen ein
wichtiges Anliegen ist, haben Probleme, weil die Beeinflussung der Kinder und
aller Mitglieder der Familie durch die Umwelt, durch die Medien, durch die
Schule, die berufliche Welt usw. oft alles andere als christlich ist.
Der Papst betont in seinem Schreiben, dass das missionarische Engagement, das
heute nötig sei, nicht einer kleinen Schar von „Spezialisten“ übertragen werden
könne. Letztendlich müsse die Verantwortung aller Glieder des Gottesvolkes
einbezogen werden. Notwendig sei ein neuer apostolischer Aufbruch, der als
tägliche Verpflichtung der christlichen Gemeinden und Gruppen gelebt werden
müsse (vgl. 40).
Gerade in diesem Zusammenhang wird es erforderlich sein, dass wir um den
Heiligen Geist bitten, um die geeigneten Wege zu erkennen.
Der Rückhalt der Gemeinschaft und die Vielfalt der Berufungen
Der Heilige Vater hebt in seinem Schreiben mit dem Blick auf die Zukunft der
Kirche in unserer Zeit die Bedeutung der Gemeinschaft hervor. Er sagt: „Wenn
wir das Antlitz Christi wirklich betrachtet haben, liebe Brüder und Schwestern,
dann muss sich unsere pastorale Planung an dem ‚neuen Gebot’ ausrichten, das er
uns gegeben hat ‚Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben’
(Joh 13, 34)“ (42).
Das führt zur Entwicklung und Pflege der Gemeinschaft. Sie ist – wie der Papst
erklärt – „Frucht und sichtbarer Ausdruck jener Liebe, die aus dem Herzen des
ewigen Vaters entspringt und durch den Geist, den uns Jesus schenkt (vgl. Röm
5, 5), in uns ausgegossen wird, um aus uns allen ‚ein Herz und eine Seele’ (Apg
4, 32) zu machen“ (42).
Angesichts der oft leider offensichtlichen Uneinigkeit in der Kirche klingen
vielleicht diese Worte des Heiligen Vaters für manche wie ein Wunschtraum und
doch spüren wir alle, wie wahr es ist, wenn er sagt: „Ohne die Liebe wäre alles
umsonst“ (42). Der Papst erinnert an das Wort der hl. Theresia von Lisieux,
dass die Liebe „das Herz der Kirche“ sei.
Der Heilige Vater fordert daher dazu auf, die Kirche „zum Haus und zur Schule
der Gemeinschaft“ (43) zu machen. Darin liege eine große Herausforderung. Eine
Spiritualität der Gemeinschaft müsse gefördert werden, indem „man sie überall
dort als Erziehungsprinzip herausstellt, wo man den Menschen und Christen
formt, wo man die geweihten Amtsträger, die Ordensleute und die Mitarbeiter in
der Seelsorge ausbildet, wo man die Familien und Gemeinden aufbaut“ (43).
Der Papst legt dann auch die Wesenszüge einer solchen Spiritualität der
Gemeinschaft dar:
Die tiefste Begründung der Gemeinschaft liegt im dreifaltigen Gott, als dessen
Abbild wir erschaffen sind. Er spricht uns an und beginnt in allen jenen zu
wohnen, die ihn aufnehmen. Die Spiritualität der Gemeinschaft führt dazu, im
anderen diese Wirklichkeit wahrzunehmen, seine Freuden und Leiden zu teilen,
seine Wünsche zu erahnen, sich seiner Bedürfnisse anzunehmen und ihm eine
echte, tiefe Freundschaft anzubieten. Eine echte Spiritualität der Gemeinschaft
bedeute, im anderen vor allem das Positive zu sehen und dem Bruder Platz zu
machen, in dem „einer des anderen Last trägt“ (Gal 6, 2).
Hoffentlich sind es nicht bloß schöne Worte … Der Papst meint es jedenfalls
konkret: Auf allen Ebenen müsse diese Gemeinschaft im Leben der Kirche Tag für
Tag gepflegt und ausgeweitet werden. Wörtlich schreibt er: „Hier muss die
Gemeinschaft zum Strahlen kommen in den Beziehungen zwischen Bischöfen,
Priestern und Diakonen, zwischen den Hirten und dem ganzen Volk Gottes,
zwischen Klerus und Ordensleuten, zwischen kirchlichen Vereinigungen und
Bewegungen“ (40).
Die beste und wichtigste Schule der Gemeinschaft ist freilich die christliche
Familie. Ihr kommt als Keimzelle der Kirche und als Grundsäule der Gesellschaft
ohne Zweifel eine zentrale Bedeutung zu. Sie ist der wichtigste Lernort der
Liebe, des Lebens, auch des Glaubens. Die Berufung jedes einzelnen Menschen
wird großteils in der Familie grundgelegt.
Der Papst spricht mit sehr treffenden Worten von der Vielfalt der Berufungen
und von der Notwendigkeit, sie zu entdecken. Dies betrifft nicht nur die Frage
des Nachwuchses für Priester und Ordensleute, die für die Entfaltung der
seelsorglichen Arbeit unersetzlich sind. Es betrifft auch Ehe und Familie. Die
persönliche Berufung der Mehrzahl der Christen führt zur Gründung einer
Familie, stützt sich auf das Ehesakrament und verwirklicht sich bei der
Ausübung des Berufes und im familiären Alltag. Es ist sehr wichtig, bewusst zu
machen, dass das persönliche Ja zu Ehe und Familie mit allen damit verbundenen
Aufgaben und Konsequenzen eine echte „Berufung“ – auch im engen und
eigentlichen Sinn des Wortes – bedeutet. Denn, wer heiratet und eine Familie
gründet, nimmt sich als Ziel vor, gemeinsam mit dem Ehepartner und den Kindern,
wenn Gott sie schenkt, die große Liebe zu erstreben. In ihr wachsen und reifen
ist das Wichtigsten in unserem Leben. Das Ehesakrament
ist dabei Grundlage und Hilfe, das heißt: Christus hilft. Aus Ehe und Familie
gehen alle Berufungen hervor, Priester und Ordensleute und viele andere, die in
Kirche und Welt auf mannigfaltige Art wirksam werden, das Licht Christi in den
unterschiedlichsten Formen und allen Winkeln der Welt gegenwärtig machen.
Ökumene
Auch das Thema „Einheit der Christen“ gehört mit dem Blick
auf ein neues Jahrtausend zu den großen Anliegen und Dringlichkeiten der
Kirche. Der Papst spricht voll Hoffnung davon, dass die Bitte Jesu „Alle sollen
eins sein“ durch das Wirken des Heiligen Geistes und die Bemühungen aller mit
großem Respekt vor der Wahrheit nach und nach einer Erfüllung entgegen geht.
Gerade angesichts der großen Herausforderungen unserer Zeit ist es zu hoffen,
dass die Bedeutung der Einheit unter allen Menschen guten Willens jedes Mal
mehr Menschen bewusst wird.
Zusammenfassung
Die Zusammenhänge, die der Heilige Vater in seinem
apostolischen Rundschreiben NOVO MILLENNIO INEUNTE aufzeigt, sind für den
Aufbau und die Wiederbelebung der christlichen Gemeinde von größter Bedeutung.
An uns liegt es, die richtigen Schritte zu setzen. Die Herausforderungen sind
groß und vielfältig. Eines ist sicher: Eine minimalistische Glaubenshaltung,
die sich darauf beschränkt, die eine oder andere religiöse Gewohnheit zu
pflegen, ohne das Leben ernsthaft an Gott auszurichten, genügt nicht, um
gottverbunden zu leben und das eigentliche Lebensziel zu erreichen. Eine solche
Glaubenshaltung kann auch nicht ausstrahlen und anstecken. Die Initiative des
einzelnen, der Familien, aber auch der Gemeinschaften, der Pfarren, der
seelsorglichen Einrichtungen ist gefragt. Möglichst viele sollten um den
Heiligen Geist bitten, zugleich aber bedenken, dass jeder einzelne dazu
beitragen kann und soll, dass der Glaube an Jesus Christus sich heute und
morgen ausbreitet. Möge uns die Fürsprache der Muttergottes beistehen!
Noch eine gnadenreiche Fastenzeit und ein gesegnetes Osterfest – eine große
Freude über unsere Erlösung und über die Auferstehung unseres Herrn wünscht
mit herzlichem Gruß
+ Klaus Küng