"Was Gott verbunden hat, darf der Mensch nicht trennen"

 

Diesen Satz des Evangeliums beziehen wir üblicherweise auf die Unauflöslichkeit der Ehe. Er gilt jedoch - vielleicht zunächst überraschend - für das Thema dieses Rundbriefes "Die natürliche Empfängnisregelung".


Liebe Mitchristen!


In den letzten Wochen hat meine Stellungnahme im Zusammenhang mit der von der AKTION LEBEN ÖSTERREICH versandten Broschüre "Das 1 x 1 der Empfängnisverhütung" in manchen Kreisen Widerspruch ausgelöst. Das hat mich nicht überrascht. Manchmal sind Diskussionen nicht zu vermeiden; es kann sogar notwendig sein, sie anzufachen, wenn es anders nicht möglich ist, einen Nachdenkprozess auszulösen.

Obwohl das Thema der natürlichen Empfängnisregelung schwierig ist, will ich ihm wegen der weit verbreiteten Orientierungslosigkeit diesen Rundbrief widmen.
Manche werfen mir vor, ich würde mich zu oft zu sexuellen Themen zu Wort melden. Es ist mir jedoch als Familienbischof von
der Bischofskonferenz auch diese Thematik übertragen. Außerdem war in diesem - wie in anderen Fällen - nicht ich es, der die Problematik in die Öffentlichkeit gebracht hat.

Sehr dankbar bin ich für die Mithilfe der Ehepaare, die mir bei der Abfassung und Korrektur dieses Briefes beigestanden haben.

1. Der Schutz des Lebens - ein wichtiges, aber nicht das einzig wichtige Anliegen im Bereich der Sexualität.

Der Schutz des Lebens ist eines der wichtigen Anliegen unserer Zeit. AKTION LEBEN hat sich in diesem Zusammenhang ohne Zweifel große Verdienste erworben. Sie hat vielen schwangeren Frauen in Not helfen können. Umso größer ist freilich auch die Enttäuschung darüber, dass AKTION LEBEN ÖSTERREICH den Kampf gegen die Fristenlösung aufgegeben hat und damit auch nicht mehr für einen wirklich umfassenden Schutz des Lebens eintritt.

Im vorliegenden Schreiben beschränke ich mich allerdings auf die These der Broschüre, die lautet: Wir müssen die Verhütung zulassen und propagieren, um Abtreibungen zu vermeiden. Leider ist diese Behauptung falsch, wie noch zu zeigen sein wird. In ihr ist eine Grundtendenz enthalten, die mit sehr gefährlichen Entwicklungen in Bezug auf Jugend, Familie und Gesellschaft verknüpft ist. Ich möchte außerdem versuchen, einige positive Wegweisungen aufzuzeigen, von denen ich hoffe, dass sie trotz ihrer Mangelhaftigkeit und Unvollständigkeit manchen hilfreich sind.

2. Information ist notwendig und wichtig

Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich halte eine dem Alter und dem Bildungsgrad entsprechende, sachliche Information über die Entstehung des Lebens und die damit im Zusammenhang stehenden biologischen Vorgänge im Körper für sehr notwendig und wichtig. Es wird in der Regel auch angebracht sein, über die Fragen der Empfängnisverhütung, der gängigen Methoden und ihrer Wirkweisen gut Bescheid zu wissen. Dabei ist für die moralische Beurteilung (auch der Mitwirkung) von größter Bedeutung hervorzuheben, welche dieser Methoden nach der Empfängnis angreifen, also die Möglichkeit einschließen, dass eine Abtreibung im Frühstadium der Schwangerschaft bewirkt wird.

3. Gilt nicht doch manchmal: "Besser Verhüten ..."?

Vor wenigen Tagen sagte mir eine besorgte Mutter: "Was soll ich machen, wenn meine Tochter einen Freund und für die moralischen Vorstellungen der Kirche keinerlei Gehör hat? Soll ich warten, bis es passiert ist? Ist es nicht besser, wenn sie die Pille nimmt?"
Nach neueren Studien in Deutschland und Amerika zeigt sich zwar unter den Jugendlichen in den beiden letzten Jahrzehnten ein gewisser Trend zu Treue (allerdings oft zeitlich begrenzt verstanden) und zu Ablehnung von Sexualität ohne Liebe, aber mehr Jugendliche machen ihre ersten Erfahrungen früher und die Zahl der Paare, die sporadisch oder in längeren Zeitabschnitten zusammenleben, steigt Jahr für Jahr.
Dabei ist zu bedenken: Eine unerwartet eintretende Schwangerschaft bedeutet in der Regel einen brutalen Einbruch in alle bestehenden Pläne. Die Schule oder das Studium müssen unterbrochen werden. Es fehlen die Voraussetzungen für eine Familiengründung. Die Zukunft ist durch das uneheliche Kind belastet. Außerdem wird gerade das Kind am stärksten unter den Folgen der "Unüberlegtheit" und der "Unvorsichtigkeit" seiner Eltern leiden. Nicht selten führt die unerwünschte Schwangerschaft zu einer überstürzten oder nicht ganz freiwilligen Heirat. In anderen Fällen ist Abtreibung "die Lösung".

Ist nicht angesichts dieser gesellschaftlichen Situation die Propagierung und Liberalisierung der Verhütungsmittel die einzig vernünftige Maßnahme?
Es ist auch die Gegenfrage zu stellen: Ist die Verbreitung und Anpreisung der Verhütungsmittel ein geeignetes Mittel, um Abtreibungen zu vermeiden? Warum ist die Zahl der Abtreibungen in Ländern, in denen Verhütungsmittel bekannt und leicht erhältlich sind, weiterhin enorm hoch? Warum steigt die Zahl der unehelichen Kinder?

Manchmal wird angeführt, dass gerade in katholischen Ländern die Zahl der Abtreibungen besonders hoch seien, in Holland und
Schweden dagegen z.B. sehr niedrig. Die Aussagekraft solcher Argumente ist in Frage zu stellen, weil sich manche Länder überhaupt weigern, Zahlen zu erheben, und weil dennoch durchgeführte Schätzungen äußerst problematisch sind - ganz abgesehen von bewussten Lügen, die gerade bezüglich Abtreibung gerne in die Welt gesetzt werden, um politische Ziele durchzusetzen (wie dies z.B. in den USA nachgewiesen wurde).
Es ist aber vorstellbar, dass die Abtreibungszahlen tatsächlich sinken, wenn ein Staat eine noch viel intensivere Propagandawalze für Verhütung über die Jugend fahren lässt, als dies bisher getan worden ist. Aus Brasilien wird berichtet, dass internationale Organisationen in bestimmten Landesteilen bis zu 90 % der einheimischen, gebärfähigen Frauen sterilisiert haben. Dort werden die Abtreibungszahlen wohl gesunken sein - aber um welchen Preis! Ob die Menschen auf diese Weise glücklich werden?
Ob überhaupt dieser angepriesene Weg der Verhütung glücklich macht? Eltern können dankbar sein, wenn ihre Kinder "nur" verhüten,
aber Abtreibung ablehnen. Wer kann es wünschen, dass aus einer unreifen und möglicherweise nur flüchtigen Beziehung ein Kind hervorgeht? Wer kann befürworten, dass unbekümmert Leben gezeugt wird, um es dann abzutreiben? Aber, ist es nicht zu einfach, der Tochter, die einen Freund hat, die Pille zu geben? Oder sollten - wie manche es vorschlagen - sogar in der Schule Empfängnisverhütungsmittel jederzeit greifbar sein? Müsste die Tochter nicht, abgesehen vom Hinweis auf die Nebenwirkungen und Gefahren der Pille, auch auf andere Aspekte aufmerksam gemacht werden? Müssen nicht auch unsere jungen Männer lernen, dass es kein männliches Recht auf die Erfüllung aller sexuellen Wünsche gibt? Erziehen wir die Männer durch die Verhütungsmittel nicht zu einem sexuellen Anspruchsdenken und damit zu einem sexuellen

Herrschaftsdenken, das schon in der Bibel als tragische Folge der Sünde vorausgesagt worden ist? Müssen unsere jungen Leute nicht bedenken, dass es in Partnerschaft, Ehe, sexuellen Beziehungen um ihr eigenes Geschick geht? - Sexuelle Beziehung ist intime, auch leiblich engste Beziehung. Gerade deshalb ist sie hochsensibel und bedarf bestimmter Voraussetzungen, wenn sie das sein will, was sie sein soll. - Wie viele bittere Enttäuschungen und wie viele Belastungen für eine spätere Ehe entstehen durch Fehlinformationen und dadurch bedingtes falsches Verhalten!

Es dreht sich nicht darum, dass der Staat Verhütungsmittel verbietet; aber es muss bewusst sein, dass die Anpreisung von Verhütungsmitteln einerseits nicht sicher die Zahl der Abtreibungen vermindert und andererseits alle Verantwortungsträger dazu beitragen sollten, zum Wohle der Menschen die Ehe zu schützen und auf die Schäden hinzuweisen, die aus flüchtigen sexuellen Beziehungen entstehen können. In Bezug auf Bemühungen um den Schutz des ungeborenen Lebens zeigt sich außerdem international, dass PRO LIFE-BEWEGUNGEN nur dann eine echte Wirksamkeit zeigen, wenn sie zugleich PRO FAMILY-BEWEGUNGEN sind.

Es ist aber noch ein weiteres, schwieriges Problem im Zusammenhang mit Verhütung und Abtreibung zu erwähnen: Es ist bekannt, dass ein relativ hoher Prozentsatz von Abtreibungen bei Frauen vorgenommen werden, die verheiratet sind und zwei bis drei Kinder haben. Sie fühlen sich oft durch das Lehramt der Kirche unverstanden und von ihr alleine gelassen. Ihre Schwierigkeit besteht nicht selten u.a. darin, dass sie sich von Seiten des Mannes und der Umgebung unter Druck gesetzt fühlen. Sie halten ein weiteres Kind nicht für tragbar. In dieser Not entsteht die Gefahr, dass eine Abtreibung vorgenommen wird.

Ist nicht wenigstens in solchen Fällen unbedingt zur Verwendung von Verhütungsmitteln zu raten? Viele Frauen sehen keinen anderen Ausweg. Sie werden oft in diesem Sinne auch von ärztlicher Seite orientiert. Zudem empfinden sie bei der natürlichen Empfängnisregelung, die sie meist nur mangelhaft kennen und mit der sie sich viel zu spät befassen, die Angst vor der Unsicherheit als zu belastend, wobei sich die skeptische bzw. negative Haltung des Mannes erschwerend auswirkt.
Oft handelt es sich ohne Zweifel um ein großes Problem, das häufig durch die Schwierigkeit zusätzlich verschärft wird, mit dem Partner über die Thematik nicht offen und ruhig sprechen zu können, weil dieser von der Frage nichts wissen will oder weil es überhaupt schwerfällt, dieses Thema zu bereden.

4. "Sollte sich die Kirche nicht besser aus der Frage der konkreten Methode der Geburtenregelung heraushalten?"

Vor kurzem ist mir der Brief einer Gynäkologin aus Deutschland in die Hände gekommen. Sie schreibt u.a.: "Das offene und versteckte Leid der Frauen und damit der Familien, der Kinder und der ganzen Gesellschaft klagt an! Nach über 30 Jahren Pille und zunehmend freier Kontrazeption in unserem Land stehen wir vor den Folgen, die nicht mehr übersehen werden können und dürfen: Die Kinderzahl sinkt, der Egoismus und das
Konsumdenken steigen, sexuelle Hemmungslosigkeit und Untreue entsprechen dem modernen Zeitgeist, steigende Abtreibungszahlen und Aids sind die logische Folge, Familien zerbrechen, die Zahl der Ehescheidungen und Alleinlebenden erreicht erschreckende Dimensionen. In der Praxis erlebe ich viele gebrochene Frauen und junge Mädchen, die benutzt und betrogen an seelischer Leere und Sinnlosigkeit leiden, ohne erkennen zu können, dass diese falsche 'Freiheit' sie ins Verderben führt und unglücklich macht." Sie fügt dann noch hinzu: "Die Verhütungs- und Selbstbestimmungsmentalität ist auch in erschreckendem Ausmaß in das gläubige Volk unserer Kirche eingebrochen! Dies konnte in so großem Umfang nur geschehen, weil sich besonders hier in Deutschland viele Priester nicht hinter die kirchliche Lehrmeinung gestellt und sich nicht dem Willen Gottes gebeugt haben. Diese beruhigen ihr Gewissen damit, dass der Papst sich in seiner Enzyklika "Humanae Vitae" geirrt habe" (Offener Brief an die katholischen Priester Deutschlands, Dipl.med. Gabriele
Wloka, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe). Die Ärztin erlebt, dass Verhütung bewusst oder unbewusst die menschlichen Beziehungen oberflächlicher, leichter lösbar werden lässt. Dann schlägt die Erfahrung der sexuellen Intimität und Wertschätzung sehr schnell um in das bittere Gefühl von Entwertung und Ausnützen. Ist da "Verhüten" tatsächlich das geeignete Mittel zum Kampf gegen Abtreibung?

Darf die Kirche schweigen? muss sie nicht viel mehr wie der Prophet den Auftrag Gottes wahrnehmen: "Du aber, Menschensohn, ich gebe dich dem Haus Israel als Wächter ..." (Ez 33,7). muss nicht die Kirche im Auftrag Jesu zur richtigen Lebensweise in Fragen der Sexualität genauso ermutigen wie in Fragen der Nächstenliebe und mit viel Verständnis Schwierigkeiten überwinden helfen? Sie hat den Auftrag, allen und jedem Menschen beizustehen, wenn sie nach dem echten Menschsein suchen. Auch Sünder und Zöllner dürfen kommen. Sie finden sogar eher Zugang zum Gottesreich als die Pharisäer und Schriftgelehrten. Jeder darf zum Erlöser kommen. Das ist unser aller Trost und Hoffnung. Das darf jedoch nicht hindern, die Wahrheit zu lehren. Im Gegenteil, der Mensch braucht die Wahrheit. Es ist sogar besser, im Konflikt mit der Wahrheit zu leben, aber um sie zu wissen, als keine Ahnung zu haben und darum im Irrtum viel
hoffnungsloser verfangen zu sein.

Das Zeugnis der christlichen - auch der protestantischen - Tradition ist nicht nur bezüglich Unerlaubtheit der Abtreibung, sondern auch bezüglich Unerlaubtheit des Verhütens bis zur Mitte dieses Jahrhunderts einhellig. Es ist auch ein Irrtum zu meinen, dass Antikonzeption erst in den letzten zwei Jahrzehnten ein Problem sei. Das war sie schon vorher. Durch die Entwicklung neuer und verfeinerter Methoden wie der Spirale, Vereinfachung der Sterilisierung und insbesondere der Pille hat sich das Problem um ein Vielfaches verschärft. Jedoch stellte die christliche Einstellung zur Antikonzeption schon in den Anfängen der Kirche für manche Heiden eine Schwierigkeit für die
Bekehrung und den Empfang der Taufe dar. Ist es nicht hohe Zeit, diese Aufgabe, die grundlegenden Werte bezüglich Ehe und
Familie, auch die für das christliche Leben unerlässliche Tugend der Reinheit den Menschen erneut mit der nötigen Klarheit und
Eindringlichkeit näher zu bringen? Es ist leicht, jede diesbezügliche Bemühung zu kritisieren, wichtig wäre der positive Beitrag. Es handelt sich bei der kirchlichen Ehelehre nicht um eine Ansammlung vernunftwidriger, die Lebensfreude negierender Verbote, sondern um die Entdeckung des großen Geheimnisses, das dem Menschen zur Freude geschenkt ist: das Geheimnis Seiner und echt menschlicher Liebe.

5. Warum ist die Kirche gegen Verhütung und - bei Vorliegen entsprechender Gründe zur Beschränkung der Kinderzahl - für natürliche Geburtenregelung?

Zunächst ist eine Klarstellung wichtig: Der Kirche geht es im Zusammenhang mit der Geburtenregelung nicht um die Frage nach
einer bestimmten Methode, sondern um eine andere Einstellung zum Leben, zum Wunder der körperlichen Liebe, vor allem um ein
Entdecken der Weisheit Gottes auch im Leib des Menschen. Die Kirche will nicht alle Menschen über einen Kamm scheren. Sie
weiß von der Vielfalt der Situationen und den Schwierigkeiten, die es geben kann.

Ich will versuchen, die wesentlichen Punkte aufzuzeigen, die für die kirchliche Einstellung bezüglich Sexualität, Ehe und
Familie maßgeblich sind.

5.1. Fruchtbarkeit

Menschliche Sexualität ist auf Fruchtbarkeit, auf die Zeugung von Kindern ausgerichtet. Gerade auch, weil aus der geschlechtlichen Begegnung zwischen Mann und Frau ein Kind, d.h. ein Mensch hervorgehen kann, ist Sexualität etwas sehr Würdiges und Heiliges. Der geschlechtliche Vollzug bedeutet dann, wenn er fruchtbar ist, eine Teilnahme an der Schöpfergabe Gottes. Gott greift ja durch die Schaffung der geistigen und unsterblichen Seele bei der Entstehung jeder menschlichen Person direkt ein. Eheleute sind bei Zeugung bzw. Empfängnis eines Kindes in besonderer Weise mit Gott verbunden und Gott ähnlich. Daraus ergibt sich u.a. eine große Verantwortung und Ehrfurcht für ihr Tun. Sie dürfen nicht willkürlich vorgehen, sondern müssen im vollen Sinn menschengemäß, d.h. in Respekt und Achtung vor dem eigenen Wesen, handeln.

Wie ich auch da, wo es um die Gesundheit geht, nur dann chemische Produkte, Medikamente einsetze, wenn und insoweit dies notwendig ist, so auch im Bereich Sexualität. Zudem ist Fruchtbarkeit des Menschen keine Schwäche der Gesundheit oder gar eine Krankheit. Umso mehr ist es wichtig, diese Fähigkeit nicht mit chemischen oder mechanischen Hilfsmitteln steuern zu wollen, sondern durch den dem Menschen gegebenen Geist. Dann erst handelt er echt menschengerecht. Durch ein chemisches Präparat verhindert
er unangenehme Folgen, bleibt jedoch - was gegen echte und volle Partnerschaft ist - auf der Ebene der Nutzen-Schadensabwägung,
der berechnenden Überlegung. Er handelt dann nicht im vollen Sinn personal, d.h. liebend, weil er das, was er durch Selbststeuerung zustande bringen sollte, durch ein mechanisches oder chemisches Hilfsmittel erbringt.

5.2. Leibseelischer Ausdruck der Liebesbeziehung

Menschliche Sexualität ist zugleich auch der spezifische, leibseelische Ausdruck der Liebesbeziehung zwischen Mann und Frau, die ein Fleisch werden. Auch in der liebenden Vereinigung macht das Ehepaar die Liebe Gottes in besonderer Weise sichtbar.
Daraus erklärt sich der Wert und die Würde der sexuellen Begegnung auch z.B. im Falle einer vorliegenden, nicht aus eigenem Willen selbst herbeigeführten, zeitweise oder dauerhaften Unfruchtbarkeit.

5.3. "Was Gott verbunden hat, soll der Mensch nicht trennen"

Ein weiterer Grund, weshalb die Kirche mechanische und chemische Verhütungsmethoden ablehnt: Durch deren Anwendung wird
das Sexuelle isoliert und in eigenmächtiger Selbstbestimmung vom Bezug zur Fortpflanzung willentlich getrennt. Dadurch kommt auch
die Liebe selbst in Gefahr, ihren Hingabecharakter zu verlieren. Man gibt sich dem anderen hin, aber nicht ganz, nämlich mit dem
Vorbehalt, nicht Vater bzw. Mutter werden zu wollen; man nimmt den anderen an, aber nicht ganz. Die Anwendung der Verhütungsmethode untergräbt gewissermaßen die eigentliche Bedeutung des Geschlechtsaktes als Ganzhingabe. Das, was tiefster Ausdruck der Liebe sein soll, wird dann sehr leicht zur Selbstsuche, manchmal auch zur Verwendung des anderen als Objekt
der eigenen Befriedigung. Dies muss nicht unbedingt und in jedem Fall gegeben sein, aber die Gefahr dazu besteht. Dies umso eher dann, wenn diese Praxis über längere Zeit geübt wird.

5.4. Natürliche Geburtenregelung

Warum wird aber von der Kirche die natürliche Geburtenregelung gutgeheißen? - Weil sie dem vollen leiblich-geistigen Menschsein und der Partnerschaft zwischen Mann und Frau eigentlich entsprechend ist.

Warum? Weil der Mensch seine Befähigungen - auch die sexuellen - mit Geist und Charakter sinnentsprechend lenken soll. - Heute, im Zeitalter der Chemie und Technik, spüren wir es zunehmend deutlicher, dass wir - nicht nur auf sexuellem Gebiet - unsere Fähigkeiten und Möglichkeiten nicht einfach chemisch oder technisch nach unseren Bedürfnissen manipulieren dürfen. Es ist nach dem Sinn und den Bezügen der Talente und Fähigkeiten zu fragen. Es erweist sich mehr und mehr als ein wichtiger Grundsatz: Je näher eine Befähigung mit unserem Mensch-Sein in Bezug steht, um so unverzichtbarer ist es, sie gemäß ihrer Eigenheit zu gebrauchen. Wer meint, er kann sich über die Gesetze der Natur hinwegsetzen, muss früher oder später immer die schmerzlichen Folgen tragen.

Wer z.B. chemisch verhütet, riskiert die so genannten Nebenfolgen der Pille. Er wird jedoch auch - besonders in der "Langzeit" - entdecken, dass er als Mensch "zu kurz" kommt, dass z.B. im geschlechtlichen Miteinander das Anstreben der Lust oder das Gefühl ausgenützt zu werden gegenüber der Liebe Oberhand gewinnen. Diese und andere Konsequenzen der Verhütung sind nicht bei jedem Paar in gleicher Weise und Stärke gegeben, aber sie sind gegeben.

Darum ermuntert die Kirche zu Großmut. Es braucht Lernbereitschaft in doppelter Hinsicht: sachkundiges Wissen und charakterliche Reifung, um in rechter Weise mit der sexuellen Befähigung, mit der Triebhaftigkeit und mit den Gefühlen und Sehnsüchten umgehen zu können. Daraus kann dann zu gegebener Zeit die Entscheidung für das Kind oder für die "nur" liebende Begegnung fallen.

Darin liegt jedoch die aufbauende Erfahrung, von der Paare sprechen, die natürliche Empfängnisregelung üben. Sie spüren die Rücksichtnahme, sie sprechen miteinander über ihre sexuelle Situation; sie erfahren, dass der Partner sich bemüht, und fühlen die Wertschätzung darin, empfinden diese Art des Umganges manchmal als gar nicht leicht, aber als belebend und erfrischend.

6. Und die Kinderzahl?

Als Mitwirkende der Liebe Gottes, des Schöpfers, müssen die Eltern in Bezug auf die Kinderzahl "in einer auf Gott hinhörenden Ehrfurcht gemeinsam in Rat und Tat sich ein rechtes Urteil bilden" (vgl II. Vaticanum GS 50). Die Eltern müssen nach entsprechender Überlegung im Bewußtsein ihrer Verantwortung vor Gott, voreinander, vor den Kindern, der Kirche und der Gesellschaft bezüglich Kinderzahl selbst in Verantwortung entscheiden. In den derzeitigen Verhältnissen unseres Landes ist in vielen Fällen sicher zu Großzügigkeit zu raten. Kinder brauchen Geschwister. Die Kinderzahl ist durchschnittlich in unserem Land zwar etwas höher als in anderen Bundesländern Österreichs, aber trotzdem zu gering, um den Stand der landeseigenen Bevölkerung zu halten.

7. Verantwortete Elternschaft

Falls ein längerer Abstand bis zum nächsten Kind nötig wird oder aus entsprechend schwerwiegenden Gründen auf weitere Kinder überhaupt verzichtet werden muss, kann es erlaubt sein oder sogar verpflichtend werden, an den fruchtbaren Tagen - unter anderem aus Liebe zu Gott und aus Liebe zum Gatten - auf den Geschlechtsverkehr bewusst und positiv zu verzichten und ihn,
weil er als Ausdruck der Liebe wichtig ist, in der unfruchtbaren Zeit zu vollziehen.
Wenn das Paar so vorgeht, respektiert es die in der Natur der menschlichen Sexualität und im Wesen des Menschen insgesamt veranlagten Sinngebungen. Es respektiert die "Vorgaben" Gottes. Deshalb sündigt es nicht, vielmehr handelt es gut. Dies kann schwer sein. Es erfordert Rücksicht, Gespräch miteinander, führt aber - wie viele Ehepaare bezeugen - nicht selten erst recht zum Entdecken der Zärtlichkeit und der Zuneigung.

Wird nicht auch bei dieser natürlichen Empfängnisregelung "das Kind verhütet"? In der Tat könnte auch bei natürlicher Empfängnisregelung eine Verhütungsmentalität die Eheleute erfassen. Natürliche Familienplanung wird zur bloßen Technik, wenn sie von der Haltung der Ehrfurcht vor Gott und jenen Gesetzen, die Er in den Menschen gelegt hat, losgelöst wird. Ein Missbrauch der natürlichen Familienplanung wäre es, mit ihrer Hilfe Kinder aus egoistischen Gründen zu vermeiden. Abzulehnen ist es auch, wenn jemand die Möglichkeit der Zeugung als Ausrede benützt, um dem Ehepartner die eheliche Gemeinschaft grundlos zu verweigern.

Verbunden mit der richtigen inneren Haltung und Motivation ist aber ein großer Unterschied zwischen natürlicher Familienplanung und künstlicher Methode: Bei der natürlichen Regelung achtet das Paar auf den Rhythmus der Frau und ordnet sich diesem gemeinsam unter, weil die Möglichkeit, Mutter zu werden, ohne Verletzung der Liebe von der Frau nicht abgespalten werden kann. Mit einem Wort, indem die Menschen auf das Gesetz, das Gott in die menschliche Natur hineingelegt hat, horchen, tragen sie der Weisheit des Schöpfers Rechnung.

8. "Natürlich"?

Ist aber diese Verhaltensweise so "natürlich", insbesondere für die Frau, die in einer Weise leben muss, die nicht dem "natürlichen" Empfinden entspricht? Sie sei an den "fruchtbaren Tagen" mehr für das sexuelle Beisammensein gestimmt als an den "unfruchtbaren", wird gesagt. - Andererseits heißt es, dass dies emotional bei manchen Frauen so sei, durchaus nicht bei allen. Wie immer das sein mag: Biologisch gefühlshafte Stimmungen müssen für den Menschen nicht einzig bestimmend sein. Geistige Sinngebungen können legitim das
Naturhafte übersteigen. (Übrigens: Ist nicht aus dieser Sicht das Unnatürliche besonders der chemischen Verhütung deutlich zu spüren, die ja die biologischen Abläufe und das daraus resultierende, natürliche Empfinden völlig unterdrückt?)
Die Kirche will auch, wenn sie von natürlicher Empfängnisregelung spricht, zum Ausdruck bringen, dass die von Gott der menschlichen Natur eingepflanzten Gegebenheiten geachtet werden, was nicht unbedingt bedeutet, dass es dem spontanen "natürlichen" Empfinden entspricht. Zugleich ist zu bedenken, dass gerade die natürliche Regelung u.a. das Gespräch, das Mittun des Mannes und die gegenseitige Rücksichtsnahme voraussetzt, was nach dem Zeugnis der Eheleute zum Erfahren der Zärtlichkeit und Liebe führt - einem wesentlichen Bereich der menschlichen-geistigen Natur.

9. Schwierigkeiten

Wenn die beruflichen Umstände für eine natürliche Regelung schwierig oder die organischen Voraussetzungen nicht gegeben sind? Oder wenn der Partner nicht mittut? - Was dann?

Die Lebensgeschichte eines Menschen - gerade auch von ihrer sexuellen Dimension - kann so verlaufen sein, dass die hier vorgelegten Überlegungen kaum einsichtig sind und er sie in der eigenen Partnerschaft für fast nicht realisierbar empfindet. Manchen fällt es sehr schwer, über das intime Thema Sexualität mit dem Partner zu sprechen. Sie sind empfindlich und leicht verletzbar. Zahlreiche Menschen können Ansichten, die sie im Bereich Geschlechtlichkeit anerzogen oder sonst übermittelt bekamen, mit dem nicht vereinbaren, was die Kirche darlegt.
Es ist schon so: Natürliche Empfängnisregelung ist anspruchsvoll und kann mühsam und anstrengend sein. Manchmal muss mit viel Liebe, Geduld und Verständnis - nicht selten mit geeigneter ärztlicher und anderwärtiger Beratung - nach möglichen Wegen gesucht werden. Es kann auch Wegstrecken geben, die besonders mühsam und schwierig sind. Wer weiß es nicht! Nicht immer können wir sofort alles erreichen ... Neu und anders als bisher zu handeln, kann als eine beinahe übergroße Veränderung erscheinen. Freilich: Wie viele Opfer nehmen manche auf sich, um sich in einer Sportart zu verbessern, um schlank zu werden oder biologisch zu leben! In sehr wichtigen
Lebensbereichen wie z.B. im Religiösen oder in diesem Bereich der Sexualität soll aber alles leicht gehen.

Es braucht oft Geduld in der Suche nach dem gangbaren Weg. Es gibt ja auch die Fehler, die nicht sogleich als Sünde zu bezeichnen sind. Gott kennt uns, Er kennt ehrliches Mühen und ist auch der, der vergibt.

Letztlich - dies sollten wir gerade in diesem Bereich nicht übersehen - geht es um Zuneigung und Liebe. Anstrengung, Mühe... sie sollen nicht in Verzicht und Opfer stecken bleiben, sie sollen dem Paar gegenseitig die Herzen auftun, die Liebe wachsen lassen. Dies ist auch mit der natürlichen Empfängnisregelung angezielt.

Der Brief ist diesmal länger als gewohnt geworden, weil das behandelte Thema sehr vielseitig ist. Trotzdem bleibt vieles unausgesprochen, manches bedarf der Fortsetzung bzw. Vertiefung und Verfeinerung.

In der Hoffnung, dass dies mit der Hilfe Gottes und der Mitarbeit vieler - für Anregungen bin ich dankbar - allmählich besser gelingen möge, verbleibe ich

mit herzlichen Segensgrüßen

+Klaus Küng